Die Portugiesische Reise (German Edition)
dort ein Buch mitgebracht, das, obwohl es eine wissenschaftliche Arbeit ist, zum Bewegendsten gehört, was je in Portugal geschrieben wurde. Diesen Ort will der Reisende mit eigenen Augen sehen. Sonst nichts.
Dorthin sind es dreißig Kilometer. Gleich hinter Bragança liegt das dunkle und stille Dorf Sacoias. Dort hat man das Gefühl, in eine andere Welt zu kommen. Wenn hinter einer Kurve die ersten Häuser auftauchen, möchte man anhalten und rufen: »Ist da jemand? Darf ich hereinkommen?« Tatsächlich weiß der Reisende bis heute nicht, ob Sacoias bewohnt ist. Die Erinnerung, die er an diesen Ort hat, ist die einer Einöde, genauer gesagt die der Unbewohntheit. Und dieser Eindruck bleibt auch bestehen, wenn er von einem anderen Bild überschattet wird, dem dreier Frauen, die, als der Reisende sich bereits auf dem Rückweg befand, auf theatralische Weise auf den Stufen einer Treppe saßen und zuhörten, was, unhörbar für den Reisenden, eine vierte zu ihnen sagte, während diese die Hand über eine Blumenvase hielt. Dieses glich so sehr einem Traum, dass der Reisende sich nicht sicher ist, je in Sacoias gewesen zu sein.
Die Strecke nach Rio de Onor ist eine Wüste. Auf dem Weg liegen ein paar Dörfer, Baçal, Varge, Aveleda, aber sonst herrscht ursprünglichste Einöde. Sicherlich gibt es Anzeichen von Zivilisation, dies ist weder Dschungel noch raue Felsenlandschaft, aber wo in anderen Gegenden hin und wieder auftauchende Häuser den Reisenden begleiten, ist jetzt kein einziges zu sehen. Hier lässt sich der Beginn aller Dinge erahnen.
Der Reisende wirft einen Blick auf die Straßenkarte: Sollte diese Höhenkurve stimmen, müsste es hier wieder bergab gehen. Rechter Hand liegt ein weites Tal, weiter unten stehen ein paar Bienenkörbe, und durch den Nebel sieht man in der Ferne undeutlich Männer arbeiten. Die Felder sind grün und die Baumreihen schwarz. Eine Kuhherde kommt die Straße hinauf und versperrt den Weg. Der Reisende hält an, lässt das Vieh vorbeiziehen und wünscht dem Hirten, einem ruhigen jungen Mann, einen guten Tag. Er scheint sich keine große Mühe bei seiner Aufgabe zu geben, was ein Zeichen seines Könnens sein muss, denn die Kühe benehmen sich, als wären sie von einer ganzen Legion von Hütern umgeben.
Nun zu Rio de Onor. Hinter einer Kurve leuchtet zwischen den Bäumen das Wasser auf, man kann hören, wie es über die Felsen fließt, und ein Stück weiter kommt eine Steinbrücke. Der Fluss heißt pflichtgemäß Onor. Die Dächer der Häuser sind fast alle aus Schiefer, und durch die Feuchtigkeit glänzen sie und wirken noch dunkler als ihr eigentliches Bleigrau. Es regnet nicht, es hat noch gar nicht geregnet heute, aber die ganze Landschaft ist von Feuchtigkeit durchtränkt, als befände man sich auf dem Grund eines Unterwassertals. Der Reisende sieht sich ausgiebig um und fährt dann auf die andere Seite. Er ist unzufrieden. Endlich ist er in Rio de Onor, sehnlichst hatte er auf diesen Tag gewartet, und jetzt kann er sich gar nicht richtig freuen. Manchmal wünschen wir uns etwas sehr, und wenn wir es dann haben, wissen wir nichts damit anzufangen. Nur so lässt es sich erklären, dass der Reisende nach dem Weg nach Guadramil fragt, wohin er aufgrund der schlechten Straßenverhältnisse allerdings nicht fahren kann. So sagt man ihm jedenfalls. Der Reisende beschließt also, sich den Umständen anzupassen. Er geht eine Straße entlang, die einem Sumpfgelände ähnelt, springt von einem Fuß auf den anderen und konzentriert sich dabei so sehr, dass er erst im letzten Moment bemerkt, dass er nicht allein ist. Er wünscht gute Tage (nie hat er sich an den Gruß in der Stadt gewöhnt, der die guten Wünsche auf jeweils einen Tag begrenzt), und so antworten sie ihm auch, ein Mann und eine Frau, die dort sitzen, sie mit einem großen Brot im Schoß, das sie kurz darauf bricht und mit dem Reisenden teilt. Hinter den beiden steht ein riesiger Destillierkessel aus Kupfer, dem die Feuchtigkeit nichts auszumachen scheint, was kein Wunder ist, bei dem Feuer, das unter ihm brennt. Der Reisende sagt, was er immer sagt: »Ich sehe mir die Gegend an. Es ist sehr schön hier.« Der Mann geht nicht darauf ein. Er lächelt und fragt: »Wollen Sie unseren Schnaps probieren?« Nun ist der Reisende kein Trinker, er trinkt gern mal einen Weiß- oder Rotwein, aber harte Spirituosen verträgt sein Organismus nicht. Doch in Rio de Onor kann man einen Schnaps schlecht ablehnen, auch wenn es noch lange vor
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