Die Portugiesische Reise (German Edition)
müssen, aber bis dahin hat er noch ein langes Stück Weg vor sich. Auch die anderen Kirchen in Bragança sind nicht weiter von Belang, außer, aufgrund einer kurzen Zeitspanne in der Geschichte, die Igreja de São Vincente, wo der Überlieferung nach Dom Pedro und Inês de Castro heimlich getraut wurden. Das mag sein, aber von den Steinen und Mauern von damals ist nichts übrig geblieben, und man kann nicht sagen, dass man irgendetwas von dieser großen und politisch wichtigen Liebe spüren würde.
Kennt er Bragança jetzt? Nein, das nicht, aber man möge den Reisenden verschonen, denn es gibt andere Orte zu besichtigen, die wie dieser imstande sind, einen Mann für den Rest seines Lebens festzuhalten, nicht aufgrund besonderer Verdienste, sondern weil diese Versuchung jedem Ort innewohnt. Und wenn es heißt, für den Rest des Lebens, dann bedeutet das auch darüber hinaus, wie im Falle des Soldaten José Jorge, von dem hier die Rede sein soll.
Zuerst einmal sollte zum besseren Verständnis erwähnt werden, dass der Reisende eine besondere Vorliebe hat, die einige Menschen, die sich selbst für normal halten, wahrscheinlich morbide finden und die darin besteht, dass er gelegentlich gern Friedhöfe besucht und sich an der Inszenierung der Verstorbenen in Gestalt von Gedenktafeln, Statuen, Grabsteinen und anderen Formen des Gedenkens erfreut und aus alldem den Schluss zieht, dass der Mensch sogar dann noch eitel ist, wenn er gar keinen Grund mehr dazu hat. Der Tag scheint günstig für derlei Betrachtungen, und der Zufall will es, dass seine ziellosen Schritte den Reisenden an den Ort führen, wo sie am ehesten berechtigt sind. Nachdem er den Friedhof mit seinen frischgekehrten Wegen einmal ganz umrundet und die von Flechten bedeckten und von der Witterung angegriffenen Inschriften gelesen hat, stößt er auf ein kahles Grab, das abseits des Pompes dieser Versammlung Verstorbener liegt, von einem Gitter umgeben, und auf dem sich eine Inschrift befindet: »Hier ruht José Jorge, zum Tode verurteilt am 3. April 1843.« Ein interessanter Fall. Wer war dieser Tote, der seit fast hundertvierzig Jahren seinen festen Platz hier an der Mauer hatte, dessen Grab aber nicht verwahrlost war, wie man an den frischgemalten Buchstaben, dem klaren Weiß auf nachgefärbtem Schwarz, erkennen konnte? Er musste jemanden danach fragen. Gleich nebenan war die Hütte des Totengräbers und er selbst darin. Der Reisende sagt: »Guten Tag. Können Sie mir eine Frage beantworten?« Der Totengräber, der sich, mit jenem sanften transmontanischen Akzent, mit einer Frau unterhalten hatte, erhebt sich von seiner Bank und steht zu Diensten: »Wenn ich kann.« Das sollte er, es ist immerhin eine Frage, die seine Arbeit betrifft: »Dieser José Jorge, wer war das?« Der Totengräber zuckt mit den Schultern und lächelt: »Ah, das ist eine uralte Geschichte. « Mag sein, für den Reisenden ist das keine Neuigkeit, er hat schließlich das Todesdatum gesehen. Der Totengräber fährt in ungefähr dieser Art fort: »Man sagt, er war ein Soldat, der zu jener Zeit lebte. Eines Tages bat ihn ein Freund, ihm seine Uniform zu leihen, ohne ihm zu sagen, wofür, aber sie waren ja Freunde, und der Soldat fragte nicht weiter nach. Nun war es so, dass später ein Mädchen tot aufgefunden wurde und alle behaupteten, ein Soldat hätte es ermordet, und dieser Soldat sei José Jorge. Die Uniform war offenbar voller Blut, und José Jorge konnte das nicht erklären oder wollte es nicht, weil er die Uniform verliehen hatte.« »Aber wenn er gesagt hätte, dass er sie verliehen hatte, dann hätte er doch sein Leben gerettet«, sagt der Reisende, der sich für einen logisch denkenden Menschen hält. Der Totengräber antwortet: »Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, was man mir erzählt hat, ich habe die Geschichte von meinem Großvater, und der hat sie von seinem. José Jorge schwieg, sein Freund hat sich nicht gemeldet, ein schöner Freund im Übrigen, und so wurde José Jorge gehenkt und danach an diesem Ort hier begraben. Vor vielen Jahren wollten sie mal das Grab ausheben, aber als sie sahen, dass die Leiche in perfektem Zustand war, haben sie es wieder zugemacht und nie wieder angerührt.« Der Reisende fragt: »Und wer malt die Buchstaben so schön nach?« »Ich«, antwortet der Totengräber.
Der Reisende bedankt sich für die Information und verabschiedet sich. Es hat wieder angefangen zu regnen. Er bleibt einen Augenblick vor dem Gitter stehen und denkt: »Warum
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