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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Decke mit einem sich ständig wiederholenden Motiv bemalt ist: einem Schöpfrad, dem Wappenemblem von Dom Afonso V. Merkwürdig, dass die Aristokratie im Mittelalter als persönliche Insignien solche mechanischen Gegenstände wählte, Geräte, die vom Gesinde und also von Nichtadligen benutzt wurden, wie dieses Schöpfrad, die Kräne des Conde de Ourém, das Krabbenfangnetz von Dona Leonor, und wer weiß, was der Reisende noch entdecken wird. Es wäre interessant, die Gründe für diese Entscheidungen zu erforschen, welche moralischen oder geistigen, also ideologischen Bezüge dahinterstehen.
    Hier gibt es ein manuelinisches Portal. An einem anderen Ort würde der Reisende es eingehender betrachten, doch nicht hier im Kloster von Varatojo. In diesem Augenblick geht auf der anderen Seite des Kreuzgangs lautlos wie ein Schatten ein Mönch vorbei. Er hat nicht herübergeschaut, kein Wort gesagt, ist nur vorbeigeeilt, wer weiß, welche Pflicht ihn ruft. Hinterher kommen dem Reisenden Zweifel, ob er ihn tatsächlich gesehen hat. Das heißt, er bezweifelt es nicht wirklich, nur hat er nicht sehen können, aus welcher Tür der Mönch herausgekommen und in welche er hineingegangen ist, und das bereitet ihm kurz darauf Probleme, als er nach dem Zugang zur Kirche sucht.
    Doch nun geht es um den Kapitelsaal, der an den Kreuzgang anschließt. Die Proportionen von Länge, Breite und Höhe sind perfekt, die Azulejos an den Wänden aus dem 18. Jahrhundert herausragend. Oberhalb der Wandverkleidung hängen Porträts von Mönchen, der Reisende geht von einem zum anderen, schenkt den Bildern aber keine große Aufmerksamkeit, weil sie im Allgemeinen nicht sehr gut sind, doch dann bleibt er wie angewurzelt stehen und kann sich vor Glück kaum fassen. Vor ihm hängt, wunderbar gemalt, ein Porträt von Frei António das Chagas, einem Mann, der im weltlichen Leben António da Fonseca Soares hieß, Hauptmann im Regiment von Setúbal war, mit noch nicht einmal zwanzig Jahren einen Mann umgebracht hatte, dann in Brasilien ein wildes, ganz der Liebeskunst gewidmetes Leben führte und schließlich, als ihm das Verbrechen seiner Jugend vergeben war, nach weiteren und nicht wenigen Abenteuern und einigen Rückfällen in weltliche Versuchungen als Novize in den Franziskanerorden eintrat. Kurzum, ein sinnlicher, fleischlicher Mann, der seine militärische Begeisterung für Scharmützel und Guerillataktik in die Religion mit einbrachte, als großer Prediger seine Zuhörerschaft aufrüttelte und gelegentlich von der Kanzel aus das Kruzifix in die Menge schleuderte, als letztes, schlagendes Argument, das die schreiend und jammernd auf dem Fußboden der Kirche liegenden Gläubigen endgültig überzeugte. Er wurde Hauptmann Bonina genannt, und da er beim Predigen keinen anderen Feind aus Fleisch und Blut in Reichweite hatte, ohrfeigte er sich selbst so oft und so kräftig, dass ein geistlicher Vorgesetzter ihm nahelegte, sich in der Selbstzüchtigung zu mäßigen.
    Das alles ist sehr barock, im Gegensatz zum erklärten Geschmack des Reisenden, doch dieser Frei António das Chagas, der 1631 in Vidigueira geboren wurde und 1682 in Varatojo starb, war ein Mann durch und durch und deshalb maßlos, ein Schriftsteller im Stil von Gôngora, ein Sohn seiner Zeit, lyrisch und obszön, einer, der nichts ohne Leidenschaft tun konnte. Gegen Ende seines Lebens litt er an Schwindelanfällen und stets triefender Nase, und über diesen ständig fließenden Schleim, von dem er gewählt als Stillizidium sprach, sagte er ungerührt: »Das Stillizidium ist eine Erinnerung daran, dass Euer Gnaden hinnehmen muss, was von Gott kommt, ob gut oder schlecht. Das Stillizidium fällt vom Kopf auf die Brust, und dies bedeutet, dass das, was von Gott kommt, unser Kopf ist, das müssen Euer Gnaden in Ihr Herz einschließen, denn dort gehört es hin.« Mit einem Mann, der so argumentiert, wagt niemand zu diskutieren. Selbst wenn das Porträt schlecht wäre, hätte der Reisende es genauso fasziniert betrachtet. Doch ist das Gemälde, wie schon gesagt, ausgezeichnet, eines Museums und darin des wichtigsten Platzes würdig. Der Reisende freut sich, dass er nach Varatojo gekommen ist. In einer dieser Zellen starb Hauptmann Bonina, das Mönchlein, wie er seinerzeit genannt wurde. Als der Tod nahte, frühmorgens am 20. Oktober, bat er seinen Gefährten, der ihm Beistand leistete, das Fenster zu öffnen, damit er den Himmel sehen könne. Er sah weder die Landschaft noch die Sonne, die über

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