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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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blauweißen Azulejo-Paneele in der Kapelle der Senhora da Boa Hora, Schutzpatronin der Gebärenden.
    Da der Nachmittag zur Neige geht, möchte der Reisende noch einen letzten Blick auf die Landschaft werfen, durch die er gekommen ist. Er begibt sich zur Burg hinauf, schaut bewundernd, so weit das Auge reicht, und da dort die Kirche Santa Maria do Castelo steht, wäre es ein Fehler, die Gelegenheit nicht zu nutzen. Spuren des ursprünglichen romanischen Bauwerks, vermutlich aus dem 12. Jahrhundert, sind noch zu sehen, und das Innere lohnt einen Besuch. Von unten her, in der schon eintretenden Dämmerung, versucht der Reisende, die Wiederauferstehung im Chor, ein offenbar interessantes Gemälde, näher zu betrachten. In der Kirche hoch oben über dem Städtchen, von der Stadtmauer umschlossen, herrscht Stille, nicht eine Fliege summt, selbst Vögel sind nicht zu hören. Der Reisende bemerkt eine Seitentür, drückt sie auf und tritt in einen kleinen Nebenraum, darin kein einziges Möbelstück oder sonstige Einrichtungsgegenstände. Er geht drei Schritte, sieht sich dabei um und bekommt einen furchtbaren Schreck: Er meint, ein riesiges Gesicht gesehen zu haben, das ihn durch den Spalt einer Tür zu einem anderen Raum beobachtet. Bevor er gefragt wird, gibt er zu: Er hat Angst gehabt. Aber schließlich ist der Reisende ein Mann – wenn schon niemand da ist, der seinen Mut bewundern könnte, muss er ihn sich selbst beweisen.
    Also geht er zu der mysteriösen Tür und stößt sie mit einem Ruck auf. Auf dem Ziegelfußboden kniet ein enorm großer Josef aus Pappmaché, die Kleidung zerlumpt, Haar, Bart, Schnurrbart und Augenbrauen weiß und damit ein eigentlich zu alter Mann, doch der Teint sehr jugendlich. Eine Krippenfigur, keine Frage. Der Reisende tritt die zwei Stufen hinunter, da sind die anderen Figuren, ein athletisches Jesuskind in der Krippe, und die Jungfrau Maria modischer, als man sie sich gemeinhin vorstellt, brünett, langes Haar, blauer Lidschatten, Wimpern mit Tusche verlängert, die Augenbrauen gestrichelt, volle, gutgeschnittene Lippen. Das Mädchen, das für diese Maria Modell gestanden hat, wäre beleidigt, wenn sie wüsste, dass sie den Reisenden durch den Türspalt erschreckt hat. Tatsächlich aber war nicht sie es; Josef hatte durch die Tür geschaut. Doch der Reisende fragt sich heute noch, was um Himmels willen er empfunden hätte, wenn er mit einem kurzen Blick diese Schönheit gesehen und sie für leibhaftig gehalten hätte. Bestimmt hätte er in Gedanken gesündigt. Besser, er denkt nicht weiter darüber nach.

Hauptmann Bonina
    In Torres Vedras wird dem Reisenden zum ersten Mal der Hausschlüssel ausgehändigt, damit hat er sozusagen die Volljährigkeit als Reisender erreicht. Das Hotel schließt um soundso viel Uhr, und was macht der Reisende dann? Klingeln? In die Hände klatschen, um den Nachtportier zu rufen? Nichts dergleichen. Er zieht lediglich den Schlüssel, den man ihm anvertraut hat, aus der Tasche und geht einfach hinein, als wäre es sein Zuhause. Es gibt keinen Nachtwächter, bei dem er sich für die Störung entschuldigen muss, wenn dieser, aus seinem Schlaf der Gerechten gerissen, taumelnd von hinten kommt. Das Prinzip ist gut, es hat dem Reisenden gefallen.
    Am nächsten Morgen muss er sich entscheiden, was er noch besichtigen will, die Wahl fällt auf das Convento da Graça und das städtische Museum. Er wird nicht enttäuscht. Das Kloster hat im Eingangsbereich kuriose Azulejos, die vom Leben des São Gonçalo de Lagos berichten, in seinem Todesjahr 1422 Prior des Klosters. Im Innern befindet sich das Grab desselben São Gonçalo, doch dürfte er kein großer Wundertäter gewesen sein, denn nichts weist auf besondere Verehrung oder Dank hin. Diese Heiligen sind dem Reisenden immer sympathisch – sie haben sich auf Erden bemüht, dabei weiß der Himmel welche Schwächen überwunden, waren aber auch nicht mit besonderen Kräften ausgestattet, von Zeit zu Zeit wirkten sie ihr kleines Wunder, damit ihnen ihr Platz erhalten blieb, und das ist es dann. Im Konklave der Heiligen sitzen sie vermutlich in den hintersten Reihen, stimmen ab, wenn es etwas abzustimmen gibt, und sind es zufrieden.
    Rechts und links der Hauptkapelle befinden sich zwei imposante weibliche Heilige in prächtiger Kleidung, stolz wie Äbtissinnen. Zwar stehen sie auf einem Ehrenplatz, doch nicht bei den Altären, worüber sich zu wundem der Reisende sich gestattet. Will ein Gläubiger sich an eine von ihnen

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