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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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und geht mit dem Gefühl, etwas schuldig geblieben zu sein.
    Von Cantanhede nach Mira sind es auf direktem Wege sechzehn Kilometer. Was den Reisenden veranlasst, den Umweg über das Meer zu nehmen, ist der Wunsch, herauszufinden, ob die berühmten Heuschober dort noch stehen oder ob sie nur noch in der Erinnerung der älteren Leute existieren. Man mag denken, das sei ein langer Weg für solch magere Ausbeute. Der Reisende hat aber andere Maßstäbe und ist damit bisher nicht schlecht gefahren.
    Palheiros de Mira ist auf den ersten Blick ein Ort wie jeder andere an der Küste: breite Straßen, niedrige Häuser, eine kleine Steigung senkrecht zur Uferstraße, als hätte man am Strand entlang einen Deich errichtet. Machen wir es nicht zu kompliziert: Es ist eine Düne, die die Ortschaft und die Felder vor dem Meer schützt. Der Himmel hat sich vom dichtesten Nebel befreit, manchmal ist sogar eine bleiche Sonne zu sehen. Der Reisende sieht weit und breit keine Heuschober, keine palheiros , er fühlt sich betrogen, trotzdem fragt er einen sehr alten Mann, der auf das Meer blickt: »Entschuldigen Sie, wo bitte sind die palheiros ?« Der Alte lächelt, wahrscheinlich ist er der Soundsovielte, der diese Frage stellt, und antwortet höflich: »Die gibt es nicht mehr. Das sind jetzt alles Häuser. Weiter hinten stehen vielleicht noch zwei oder drei.« Der Reisende bedankt sich und macht sich auf den Weg in die angegebene Richtung. Da stehen sie, die Überlebenden, große Baracken aus Brettern, die der Wind und die Gischt dunkel gefärbt haben, einige sind bereits zerbrochen und geben so den Blick auf die Konstruktionstechnik frei, die innere Verkleidung und die Stützbalken. Einigen sieht man an, dass sie noch bewohnt sind, anderen trägt der Wind das Dach ab. Es wird nicht mehr lange dauern, bis von ihnen nicht mehr als eine fotografische Erinnerung übrig ist. Sieht man jedoch genauer hin, so lässt sich eine Verwandtschaft zwischen den alten palheiros und dem Neubau ausmachen, in den Sonnenschirmen auf den Veranden, dem dunklen, verwitterten Holz. Der Reisende weiß den Namen des Architekten nicht und auch nicht, ob in den Häusern genauso genial vorgegangen wurde, aber sein Lob will er an dieser Stelle aussprechen. Man trifft nicht alle Tage auf Menschen, die derartig mit Raum, Farbe, Atmosphäre und deren Zusammenwirken umzugehen wissen. Die Anordnung der Bretter bei den palheiros wurde hier übernommen, und die neuen Materialien haben sich den alten angepasst.
    Der Reisende fährt zurück nach Mira, weiter über den Corujeira, der in Richtung Barrinha de Mira fließt, und als er nach Tocha kommt, sieht er einen riesigen, wenn auch etwas blassen Regenbogen und beschließt, der kleinen Kapelle in der Pfarrkirche einen Besuch abzustatten. Sie ist das Werk eines Spaniers, der ihn seiner Landsmännin Nossa Senhora da Atocha versprochen hatte, wenn diese ihn von seinen Leiden kurierte. Der Spanier wurde gesund, löste sein Versprechen ein, und aus Atocha wurde Tocha, was sich leichter aussprechen lässt. Die Kapelle ist rund und sehr seltsam, so künstlich wie ein kleines Bauwerk in einem Rokokogärtchen, aber Säulen, Kuppel und Bogenpfeiler, die im Übrigen nicht den Eindruck machen, als würden sie irgendetwas stützen, vermitteln die Atmosphäre einer Opernkulisse. Auch die Azulejos aus dem 18. Jahrhundert sind interessant. Als der Reisende wieder hinaustritt, ist der Regenbogen verschwunden: Wahrscheinlich hat er sich versteckt, weil er zu viel versprochen hatte.
    Der Nachmittag nähert sich dem Ende, als der Reisende die Serra de Buarcos erreicht. Die Bezeichnung Serra ist sicherlich übertrieben, es handelt sich dabei lediglich um einen Berg von zweihundert Meter Höhe, aber dadurch, dass er sich so steil erhebt und direkt am Meer liegt, gewinnt er an Größe. Und der Weg hinauf ist sehr schön, das sei gleich gesagt. Die Straße führt bis zur Serra da Boa Viagem, fällt dann ab, mit Blick auf die weite Ebene vor der untergehenden Sonne. Der Tag endet äußerst angenehm.
    Der Reisende übernachtet in Figueira da Foz, und als er am nächsten Tag das Museum besichtigen will, ist es geschlossen: Es gibt keinen Strom, und es wird ihn auch so schnell nicht geben. Der Tank ist fast leer, und der Reisende säße heute noch in Figueira da Foz, hätte sich der Tankwart nicht seiner erbarmt und dem Durstigen zu trinken gegeben.

Nicht alle Ruinen sind römisch
    Wenn es etwas gibt, was den Reisenden wirklich interessiert, dann

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