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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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dass man weiß, wer den Meißel gehalten hat, aber der Reisende wünschte sich doch, der Künstler hätte auf dieser glatten Oberfläche seine Signatur hinterlassen, selbst wenn es in der portugiesischen Version gewesen wäre, die da hieße: Odarte. Der Reisende bedauert es, mit dieser Ungewissheit weiterzuziehen, wo die einzige Gewissheit, die er hat, ihm nichts nützt, dass nämlich dieses hier das Grabmal eines Diogo de Lemos ist, der nur das eine hinterließ, was genau genommen gar nicht von ihm ist.
    Der Reisende fährt weiter nach Águeda und besucht dort, hoch oben über dem betriebsamen Zentrum, Santa Eulália. Dorthin gelangt man über schmale, steile Wege, und wenn uns auch im Innern der Kirche keine Meisterwerke erwarten, so ist doch in der Capela do Sacramento mit ihrem wunderbaren Altaraufsatz der Einfluss der Renaissance-Schule von Coimbra spürbar. Außerdem eine Grablegung Christi, die sicherlich eher konventionell ausfällt, aber gleichzeitig dramatisch genug, dass der Reisende, der hier seine eigenen Erfahrungen mit ins Spiel bringen kann, die unheilbaren Schmerzen derer empfindet, die einen geliebten Menschen verloren und beweint haben, ganz zu schweigen von dem, der, beweint oder nicht, gestorben ist.
    Der Reisende ist nicht besonders guter Dinge. Die Kultur, in der er aufgewachsen ist, besteht darauf, dass die Kunst, zumindest die anspruchsvolle Kunst, am Busen der Kirche genährt worden ist. Aber die Religion predigt immer nur von den Belangen eines ewigen Lebens und vernachlässigt die Freude an unserem vergänglichen Leben, welches doch glücklich und erfüllt sein sollte. Die katholische Kirche will, dass Kasteiung, Fasten und Büßerhemden unser Leben bestimmen, und ist diese Haltung heute auch etwas abgeschwächt, so kann die Kirche der Versuchung immer noch nicht recht widerstehen. Fröhlichkeit hat da keinen Platz, und Freude hat himmlischer Natur zu sein, nach innen gewandt oder mystisch und ekstatisch. Der Reisende ist auf der Suche nach der Kunst der Menschen, einer Kunst, in der sich der Wille manifestiert, den Tod zu überwinden, der in aufgestellten oder aufgehängten Steinen zum Ausdruck kommt, in rätselhaften Linien und Farben, und er findet sie in den Kirchen, in den Überbleibseln der Klöster und in den Museen, die schließlich davon leben. Er sucht die Kunst dort, wo sie ist, er geht in die Kirchen, in die Kapellen, zu den Grabmälern, und überall stellt er dieselben Fragen: Was ist das? Wer hat es gemacht? Was wollte er uns damit sagen? Worin bestanden seine Angst oder sein Mut? Welchen Traum wollte er sich als Nächstes erfüllen? Und wenn irgendjemand dem Reisenden jetzt weismachen wollte, er hätte sich ruhig einen feierlicheren Ort für seine schlichten Philosophierereien aussuchen können, dann würde er sagen, dass alle Orte gut sind und die Kirche Santa Eulália hier in Águeda, das früher Ágata hieß, was viel schöner ist, dazu genauso gut geeignet ist wie das Hünengrab von Queimada oder die Maisspeicher von Lindoso.
    Es ist verständlich, dass der Reisende in dieser geistigen Verfassung kleine und ruhige Orte aufsucht, wo er selbst die Fragen, die er stellt, gut hören kann, auch wenn er keine Antwort bekommt. Sein Weg führt ihn nach Oliveira do Bairro, aber zuerst fährt er nach Oiã, das auf der anderen Seite des Rio Cértima liegt. Die Kirche ist ziemlich modern, sie ist gerade erst seit achtzig Jahren im Dienst, aber wer sie ausgeschmückt hat, hatte Kopf und Herz am rechten Platz. Einige wunderbare vergoldete Tafelschnitzereien aus dem Kloster von Santa Ana de Coimbra, von wo auch die Kirchenbänke stammen, sind hier versammelt, aber was den Reisenden besonders interessiert, und hier weiß er nicht, woher sie kommen, sind die Gemälde aus dem 17. Jahrhundert, die diese Kirche einmalig machen. Es sind ein halbes Dutzend phantastischer Altaraufsätze, von bemerkenswerter Einheitlichkeit in Machart und Stil, eindeutig alle von demselben, nicht allzu begnadeten Künstler, wie man an den sich wiederholenden Zügen unschwer erkennt. Aber die Ernsthaftigkeit dieser kleinen Bilder, die Lust am Malen, die sich in ihnen erahnen lässt, verschaffen dem Reisenden ein Gefühl großer Zufriedenheit, das sich in ein Lächeln verwandelt, als er vor einem heiligen Sebastian mit blondem Bart steht, der offenbar nicht recht weiß, wie ihm geschieht. Hätte der Reisende übrigens auch nur ein wenig Kompetenz und die Zeit dazu, würde er eine Studie über all die heiligen

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