Die Portugiesische Reise (German Edition)
wie in einer dieser idyllischen Geschichten, er hebt nicht den Kopf, nimmt seinen Hut nicht ab und sagt auch nicht: »Gott schütze Sie, mein Herr.« Wäre er nicht so beschäftigt, würde er dem Reisenden wenigstens einen »Guten Tag« wünschen, und etwas Besseres, als dass er gut wird, kann man sich von einem Tag doch nicht wünschen.
Der Reisende verabschiedet sich und bedankt sich für die Übernachtung, und bevor er sich wieder auf den Weg macht, fährt er noch einmal zurück nach Torre de Moncorvo. Er will das Städtchen nicht in schlechter Erinnerung behalten, das hat es nicht verdient. Jetzt, wo es hell ist, wenn auch bewölkt, braucht er keine Straßenschilder mehr. Da vorn ist die Kirche, mit ihrem Renaissance- Portal und dem hohen Glockenturm, der ihr das Aussehen einer Festung verleiht, ein Eindruck, der durch die langen Mauern, die sie umgeben, noch verstärkt wird. Das dreischiffige Innere weist dicke zylindrische Säulen auf. Wenn während militärischer Unruhen das Tor verschlossen war, hätten die Feinde ordentlich graben und kratzen müssen, um ihre eigenen Messen abhalten zu können. Aber die Ruhe, mit der der Reisende hier umhergeht, lässt ihn Gefallen finden an dem holzgeschnitzten Triptychon, das Szenen aus dem Leben der heiligen Anna und dem des heiligen Joachim zeigt, und auch an anderen nicht weniger wertvollen Exponaten. Ebenfalls aus der Renaissance zu stammen scheint die Kirche Igreja da Misericórdia, und allein die Kanzel aus Granit mit ihrem Figurenrelief lohnt einen Besuch in Torre de Moncorvo.
Doch nun führt den Reisenden seine Route weg von der Kunst. Gleich hinter der Brücke über den Vilariça hat er einen schlechten Weg eingeschlagen, der ihn immer weiter eine scheinbar endlose Straße hinaufführt, sodass der Reisende angesichts der kahlen Berge, die von beiden Seiten hinunter ins Tal fallen, fürchtet, ein Windstoß könnte ihn in die Luft heben, eine andere Art der Fortbewegung, deren Ziel sehr viel unangenehmer wäre. Jedenfalls fühlt er sich angesichts dieser Weite der Landschaft, als hätte er Flügel. Die nächsten Monate über ist hier alles voller blühender Mandelbäume. Der Reisende gibt sich seiner Phantasie hin, aus der Erinnerung sucht er zwei Bilder von blühenden Bäumen aus, die besten, einen rosa und einen weißen, und multipliziert beide mit tausend oder mit zehntausend. Ein Bild blendender Schönheit. Nicht weniger schön ist dieses überaus fruchtbare Tal, sehr viel besser dran als die Felder im Ribatejo, die statt mit nahrhaftem Schlick mit Sandboden geschlagen sind. Hier fließt das Wasser des Flusses mit dem Rio Sabor zusammen und wird dann vom reißenden Strom des Douro abgedrängt, woraufhin es sich über das ganze Tal verteilt und den Boden mit Nährstoffen versorgt. Das ist die rebofa , sagen die Leute hier, für die der Winter, solange er nicht über die Stränge schlägt, eine gesegnete Jahreszeit ist.
Diese Straße führt nach Estevais, dann nach Cardanha und Adeganha. Der Reisende kann nicht überall anhalten, an jede Tür klopfen und Fragen stellen und sich in das Leben der Leute einmischen. Aber da er sich nun mal von seinen Neigungen nicht frei machen kann und es auch gar nicht will und ihn fasziniert, was die Menschen mit ihren Händen geschaffen haben, fährt er bis Adeganha, wo es eine besonders schöne kleine romanische Kirche geben soll. Bevor er sich danach erkundigt, bestaunt er die große, einzigartige Granitfläche inmitten des Ortes, die als Platz, Tenne und Bett für das Mondlicht dient. Rundherum stehen Häuser, wie sie sonst nur in den entlegensten Ecken von Trás-os- Montes zu finden sind, Stein auf Stein gebaut, den Türsturz direkt unterm Dach, im oberen Stockwerk die Menschen, unten die Tiere. Das Land des gemeinsamen Schlafes. Hier könnte man den Satz zu hören bekommen: »Ich und mein Ochse schlafen unter einem Dach.« Jedes Mal, wenn der Reisende mit solchen Lebensformen konfrontiert wird, macht es ihn verlegen. Wird er sich morgen, wenn er in die Stadt kommt, noch daran erinnern? Und wenn, wie wird er sich daran erinnern? Glücklich? Oder unglücklich? Oder beides? Ja, ja, es ist schön und gut, von der Brüderlichkeit der Fische zu predigen. Aber was ist mit der der Menschen?
Hier ist nun die Kirche. Man hat nicht übertrieben, als man sie ihm beschrieb. In diesen Höhen, von Winden umtost, unter der Geißel von Kälte und Sonnenglut, trotzt der kleine Tempel heldenhaft dem Lauf der Jahrhunderte. Die Kanten sind
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