Die Portugiesische Reise (German Edition)
riesige und andere ganz kleine, die nur die Lücken zwischen den großen zu füllen scheinen. Der Blick ruht sich aus, der Reisende wäre vollends glücklich, hätte er nicht ein schlechtes Gewissen, weil er ein Liebespaar beim Turteln aus dem Schutz der Mauern vertrieben hat. Hier in Mogadouro zeigt sich wieder einmal der alte Konflikt zwischen Absicht und Wirkung.
In Azinhoso, einem kleinen Dorf in der Nähe, keimt schließlich die Leidenschaft des Reisenden für die ländliche Romanik des Nordens auf. Der Schnitt der winzigen Kirchen ist nie zu kühn, er ist ein altes Rezept, das von weit her kommt und nur zum Ruhme des jeweiligen Bauherrn leicht variiert wird; aber wer meint, hätte man eine gesehen, hätte man alle gesehen, der irrt gewaltig. Man muss sich genau umschauen, ganz still sein und warten, dass die Steine mit einem sprechen, und wenn man Geduld hat, so wird man schließlich nur ungern gehen. Man wird es bedauern, nicht länger bleiben zu können, denn es genügt nicht, eine Viertelstunde in einem Gebäude zu verweilen, das siebenhundert Jahre alt ist, so wie hier in Azinhoso. Vor allem, wenn dann Menschen kommen, die sich mit dem Reisenden unterhalten wollen, Menschen, denen man zuhören sollte, weil sie die Erben dieser sieben Jahrhunderte sind. Der kleine Kirchhof ist mit Gras bedeckt, der Reisende stellt seine schweren Stiefel ab und fühlt sich, ohne zu wissen, warum, rehabilitiert. Je länger er darüber nachdenkt, desto sicherer ist er sich, dass dieses genau das richtige Wort ist, dieses und kein anderes, und er kann es nicht erklären.
Bald wird es Abend sein, im Oktober ist es früh Abend, und der Himmel ist bedeckt mit dunklen Wolken, vielleicht regnet es morgen. In Castelo Branco, fünfzehn Kilometer Richtung Süden, ist die Luft wie durch ein Sieb gefiltert, einzigartig in der Farbe, so rein, dass sich selbst die Lungen wundern. Am Straßenrand steht im hellen Sonnenlicht die Fassade eines stattlichen Hauses mit großen Zinnen. Gäbe es in Portugal Gespenster, dann wäre das der richtige Ort, um Reisenden einen Schrecken einzujagen: Licht hinter zerbrochenen Fensterscheiben und klappernde Zähne und Ketten. Aber vielleicht ist dieser Verfall bei Tageslicht ja weniger deprimierend.
Als der Reisende nach Torre de Moncorvo kommt, ist es schon spät am Abend. Er hält es für unhöflich, um diese Zeit in einen Ort zu kommen. Orte sind wie Menschen, wir müssen uns ihnen langsam nähern, ganz allmählich, nicht einfach plötzlich unter dem Mantel der Dunkelheit eindringen wie maskierte Straßenräuber. Gut, dass sie sich zu wehren wissen. Sie bringen Hausnummern und Straßennamen, wenn überhaupt, in unerreichbarer Höhe an, lassen einen Platz wie den anderen aussehen und setzen uns nach Belieben, um den Verkehr zum Erliegen zu bringen, einen grinsenden Politiker auf Stimmenfang samt Anhängerschaft vor die Nase. So war es in Torre de Moncorvo. Das Schlimmste ist, dass der Reisende auf dem Weg zu einem Landgut ist, das hinter der Stadt im Vale da Vilariça liegt, und die Nacht ist so schwarz, dass man nicht weiß, ob der steile Hang an der Straße nach oben oder nach unten geht. Der Reisende befindet sich in einem Tintenfass, nicht einmal die Sterne helfen, der ganze Himmel ist eine einzige dunkle Wolke. Schließlich gelangt er nach einigen Irrwegen ans Ziel, wo ihn unverschämte Hunde anbellen, bevor er im Haus mit einem Lächeln und offenen Armen empfangen wird. Hohe, ungeheure Eukalyptusbäume machen die Nacht draußen noch dunkler, aber es dauert nicht lange, und das Essen steht auf dem Tisch und nach dem Essen ein Glas Portwein, solange noch nicht Schlafenszeit ist, und als es so weit ist, zeigt man ihm das Zimmer, ein Himmelbett, so hoch, dass der Reisende, nur weil er selbst groß ist, auf den kleinen Tritt davor, verzichten kann. Welch eine tiefe Stille hier im Vilariçatal herrscht, wie tröstlich die Freundschaft, der Reisende ist kurz davor, einzuschlafen. Wer weiß, vielleicht hat schon Seine Majestät der König in diesem Himmelbett geschlafen, oder, was noch besser wäre, Ihre Hoheit, die Prinzessin.
Am nächsten Morgen wacht er früh auf. Das Bett ist nicht nur hoch, sondern auch enorm groß. An den Wänden hängen Bilder von Menschen aus vergangenen Zeiten, die den Eindringling streng ins Visier nehmen. Er hört Lärm. Der Reisende steht auf, öffnet das Fenster und sieht einen Hirten mit seinen Schafen, die Zeiten haben sich geändert, dieser Hirte benimmt sich gar nicht
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