Die Porzellanmalerin
so zurechtgestopft, dass sie bequem essen konnte.
Carl hatte ihr nicht gesagt, mit wem er sich traf. Noch nackt in seinem Arm hatte sie irgendwann leichthin das Gespräch auf den Abend gebracht und sich ohne jeden Hintergedanken erkundigt, was sie denn mit dem Rest des Tages noch anfangen würden. Er hatte nur die Stirn gerunzelt und gemurmelt, dass er eine wichtige Verabredung wahrnehmen müsse. Auf ihre Nachfrage hatte er ein unwirsches »Kennst du nicht« gebrummt, um
sich sogleich wieder hingebungsvoll ihren Brüsten zu widmen. Was sie aber umso mehr irritiert hatte, als sie einander mittlerweile ihre jeweilige Lebensgeschichte erzählt und sie eigentlich den Eindruck gehabt hatte, kein Geheimnis sei mehr zwischen ihnen unerwähnt geblieben.
Carl hatte von seiner Kindheit und dem strengen Regiment des despotischen Vaters berichtet. Er habe sich nicht zum Kaufmann berufen gefühlt, habe studieren und in die Fremde gehen wollen, hatte er ihr anvertraut, sei aber mit diesen Vorstellungen bei seiner Familie nur angeeckt. Von klein auf hatte er ökonomisches Wissen einpauken müssen. Er kannte die Gewichte, Maße und Münzen von ganz Europa. In welchem Verhältnis die Amsterdamer zur Leipziger Elle stand, die Breslauer zur St. Galler, die Lütticher zur Florentiner. Wie viel Gold welche Münze enthielt und was der Wechselkurs zwischen einem Berliner Taler und einem Nürnberger Gulden war. Die doppelte Buchführung barg für ihn kein Geheimnis, und er wusste ein jedes größere Handelshaus auf seine Kreditwürdigkeit einzuschätzen. Er konnte Geschäftsbriefe auf Deutsch, Französisch, Italienisch, Niederländisch, Portugiesisch und Englisch verfassen. Ihm war bekannt, welche Wechselbriefe man akzeptierte und welche lieber nicht. Während seiner Lehrzeit in Mailand, immerhin ein Zugeständnis der Familie an sein nicht zu stillendes Fernweh, hatte er sich in die Tochter des Hauses verliebt, eine Katholikin, die nicht bereit war, zum lutherischen Glauben überzutreten. Für ihn, Carl, kein Problem, aber seine Familie hatte schließlich alles daran gesetzt, ihn diese Verbindung beenden zu lassen, indem sie ihn mehr oder weniger über Nacht nach Amsterdam geschickt hatten. Dort hatte er dann zwar durchaus erfolgreich an der Börse spekuliert, nach einigen Monaten sogar halbwegs begonnen, sich in der Wasserstadt wohlzufühlen und Freunde zu finden, doch nach dem Tod des Vaters hatten Mutter und Bruder über seinen Kopf hinweg beschlossen, dass sein Platz in der Heimat sei, und ihn zurück nach Frankfurt beordert.
»Das war auch gut so, sonst hätte ich dich ja gar nicht kennengelernt«, hatte Carl seinen Bericht geschlossen, als hätte nun endlich alles einen Sinn bekommen.
Friederike nahm sich noch ein Würstchen und tunkte es in den groben, braunkörnigen Senf. Wahrscheinlich sollte sie die Situation ganz einfach so nehmen, wie sie war, und genießen, statt sich dumme Gedanken zu machen, überlegte sie. Sie war in Frankreich, in der herrlichen Handelsstadt Straßburg, und lernte an der Seite eines charmanten, wohlerzogenen Mannes die Freuden des Lebens und der Liebe kennen. Was machte es da schon, wenn dieser Mann sie einmal für zwei Stunden allein ließ, um einen wichtigen Termin wahrzunehmen? Außerdem würde sie ja selbst in den nächsten Tagen geschäftlichen Dingen nachgehen müssen, fiel ihr ein. Einmal ganz abgesehen von ihrem Spionageauftrag in Vincennes.
Benckgraff hatte sie gebeten, sich auf dem Weg dorthin den in Haguenau ansässigen Zweigbetrieb der Straßburger Porzellanmanufaktur genauer anzusehen. Bisher hatte der Tabakpfeifenfabrikant Paul Anton Hannong nur Fayencen hergestellt. Allerdings sehr schöne Waren, die bei den Kunden ziemlich beliebt waren. Aber nicht nur der Maler Adam Friedrich von Löwenfinck, der sowohl in Meißen als auch in Höchst gearbeitet hatte, war inzwischen in Straßburg und leitete den Betrieb in Haguenau, nein, auch der Ofenbauer Josef Jakob Ringler war dorthingegangen, nachdem er Höchst so fluchtartig verlassen hatte. Lisbeths Vater, dachte sie, der immerhin mit Benckgraff zusammen aus Wien gekommen war. Die Welt des Porzellans war klein. Es kam ihr vor, als würde sie die beiden Männer persönlich kennen, so oft hatte sie von ihnen gehört. Benckgraff hatte es für klüger gehalten, dass sie sich in der Haguenauer Niederlassung umsah, nicht in der Straßburger Zentrale, weil sie dort höchstens auf den leichtfertigen von Löwenfinck stoßen würde statt auf den
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