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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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sie Josefines Brief zur Seite und widmete sich ihrem Essen. Nach wenigen Minuten hatte sie Ei und Salat verzehrt und das Glas Orangensaft ausgetrunken.
    Gestärkt beschloss sie, Josefines Brief ein drittes Mal zu lesen und nach Hinweisen auf das Datum von Carls Hochzeit zu suchen. Vielleicht stand ja zwischen den Zeilen irgendeine Information, die sie zuvor überlesen hatte. Und tatsächlich: Erst jetzt fiel ihr auf, dass die Freundin am unteren Rand des Blattes einen kleinen Pfeil eingezeichnet hatte, der sie offenbar dazu bewegen sollte, auch die Rückseite des Schreibens zu beachten. Hastig überflog sie das Postskriptum.
     
    P. S.Wahrscheinlich interessiert es Dich auch zu hören, dass Dein Bruder neulich hier war. Mit seiner entzückenden jungen Frau, wie ich aus gut unterrichteten Kreisen erfuhr. Er und Caspar haben zwei lange Abende miteinander im »Goldenen Adler« verbracht. Die Anna hat es mir erzählt, sie arbeitet jetzt dort in der Küche. Sie haben die Köpfe zusammengesteckt und immerzu geflüstert.Wenn die Resel, ihre Kollegin, an den Tisch kam, um neue Getränke zu bringen, hätten sie immer sofort geschwiegen. Ich fürchte fast, sie führen nichts Gutes im Schilde …

    F riederike ließ das Blatt sinken. War sie eben noch mutlos und verzweifelt gewesen, spürte sie nun, wie die Empörung in ihr aufstieg. Georg und Caspar, das bedeutete wohl in der Tat nichts Gutes! Im Zweifelsfall planten sie irgendeinen Coup, der sich gegen Benckgraff und die Höchster Kollegen richtete. Sie musste den Manufakturdirektor warnen. Genauso wie Helbig und Höroldt in Meißen würde sicher auch Benckgraff auf die Schaumschlägerei ihres Bruders hereinfallen und ihm wer weiß welche Betriebsgeheimnisse anvertrauen.
    Unwillkürlich hatte sie die Schultern gestrafft, sie saß jetzt kerzengerade in ihrem Bett. Ihre Wangen waren heiß, neue Energie durchströmte sie. Sie musste etwas tun, das stand fest, sie konnte nicht länger untätig auf ihrem Pariser Krankenlager herumliegen und sich vor Sorgen um ihr Kind verzehren. Dieses ständige Grübeln und Verzagen, ihr Herzklopfen und ihre Unruhe würden ihm sicher auch nicht gut tun, mochte Docteur Dupagne sagen, was er wollte. Abgesehen davon wurde sie in Höchst dringend gebraucht. Nur sie konnte Benckgraff davor bewahren, geradewegs in die Falle zu laufen, nur sie konnte ermessen, zu welchen Schandtaten Georg und Caspar in der Lage waren, und das Unglück vielleicht gerade noch abwenden. Und wenn sie wollte, dass ihr Kind einen Vater bekam und es ihm auch in materieller Hinsicht an nichts fehlen würde, dann war es ebenfalls an der Zeit, sich auf den Weg nach Frankfurt zu machen. Ja, sie musste mit Carl sprechen, sie musste ihm klarmachen, dass er seine Verlobung mit Mathilde zu lösen hatte, um sie zu heiraten. Damit ihr Kind einen Vater hatte. Und sie einen Ehemann.
    »Adieu, Giovanni, adieu, mein Geliebter«, murmelte sie leise, während sie sich ankleidete, um nach unten in die Küche zu gehen. »Verzeih mir bitte, aber ich muss es tun.«

    »Madame, entschuldigen Sie bitte die Störung, aber wir sind gleich da!«
    Das Klopfen des Conducteurs gegen die Trennscheibe über ihrem Kopf hatte sie jäh aus dem Schlaf gerissen.
    »Was, wir sind schon da?«, murmelte sie verwirrt.
    Hastig stopfte sie ihr Wolltuch in die große Tasche und fuhr sich übers Haar. Durch das Kutschenfenster leuchteten ihr die sonnenbeschienenen Prachtfassaden der Zeil entgegen. Sie musste die ganze Nacht geschlafen haben, tief und fest. Dem Licht und dem geschäftigen Treiben auf der Straße zufolge war es spät am Morgen oder vielleicht sogar mittags. Da war auch schon der »Weidenhof«, wo sie die erste Nacht würde logieren können, bevor sie nach Höchst zu Josefine und zu Benckgraff fuhr. Aber zunächst hatte sie noch etwas anderes zu erledigen …
    Jeder Rest von Müdigkeit war verflogen, als sie wenig später die Treppen des Gasthofs hinuntereilte, in dem sie ihr Gepäck deponiert und sich frisch gemacht hatte. Es war ein richtiger Spätsommertag, sonnig, aber die Luft war bereits deutlich abgekühlt. Sie freute sich, wieder in Frankfurt zu sein und sich in der vertrauten Kulisse der alten Reichsstadt zu bewegen. Nachher würde sie zum Main hinuntergehen, zum Hafen am Fahrtor und dann zur Brücke mit dem Brickegickel. Von dort aus konnte man fast bis Höchst sehen, hatte sie manchmal gedacht, wohl wissend, dass der unregelmäßige Flussverlauf eine so weite Sicht gar nicht zuließ.
    Als sie

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