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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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den hohen Torbogen am Großen Kornmarkt erreicht hatte, hinter dem der Bogenhausen’sche Hof mit seinen Wirtschaftsgebäuden lag, war jede Beklommenheit von ihr gewichen. Sie musste ihr Vorhaben jetzt hinter sich bringen, war ihr einziger Gedanke, danach konnte man weitersehen. Nur die Aussicht, dass sie Carl womöglich überhaupt nicht antraf, sondern stattdessen seinem älteren Bruder in die Arme lief, dämpfte ihren Elan ein wenig. Zu gut hatte sie die unschöne Szene zwischen Carl und Emanuel Bogenhausen noch in Erinnerung,
deren Zeugin sie geworden war, nachdem sie Carl mit dem unglückseligen Kuss im Gewürzlager überfallen hatte. Würde Emanuel Bogenhausen nicht sofort eins und eins zusammenzählen, wenn er sie in schwangerem Zustand auf seinem Grundstück auftauchen und nach seinem Bruder fragen sah? Selbst die erlesene Schneiderkunst von Monsieur Panier, der ihr einige dunkle, weite Kleider mit hoher Taille aus seinen Lagerbeständen geschenkt hatte, vermochte die Tatsache nicht zu verbergen, dass unter dem raffinierten Faltenwurf deutlich ein Siebenmonatsbauch zu erkennen war, zumal sie wegen der wärmenden Sonne ihren Manteau nicht hatte anlegen mögen.
    Sie hatte den Hof schon fast überquert und das Comptoir erreicht, in dem sie sich zuerst nach Carls Verbleib erkundigen wollte, als hinter ihr Hufgetrappel und ratternde Wagenräder das Herannahen einer Kutsche verkündeten. Erschrocken drehte sie sich um. Es war zu spät, sich noch zu verstecken: Der Ziehbrunnen mit der mächtigen Kastanie in der Mitte des Hofes war zu weit entfernt, als dass sie sich dahinter hätte ducken können. Und bis zum Comptoir waren noch mehrere Schritte zurückzulegen, die sie ohne schwangeren Bauch vielleicht in einem kühnen Satz hätte überwinden können, nicht aber in ihrem derzeitigen Zustand. Es half nichts: Sie musste sich den Insassen der Kalesche stellen, wer auch immer dem eleganten Gefährt in wenigen Sekunden entsteigen würde.
    Mit einem lauten »Brrrrr!« hielt der Kutscher die Pferde an, um noch im Rollen eilfertig vom Bock zu springen und rechts und links die Wagenschläge aufzureißen.
    Friederike rieb sich die Augen. Hatte sie nicht genau die gleiche Situation schon einmal erlebt? Vor über einem Jahr, während der Frühjahrsmesse? Wieder zeigte sich erst der zierliche rosafarbene Schuh, dann ein zartbestrumpfter, perfekt geformter Fußknöchel, neben dem die Spitze eines Sonnenschirmchens aufgetupft wurde - bis schließlich die ganze puppenhafte Gestalt der Mathilde Leclerc auf dem Trittbrett stand und fragend
von der fremden Frau mit dem vorgewölbten Bauch zu ihrem männlichen Begleiter blickte.
    Es dauerte einen Moment, bis Carl Bogenhausen, der mit einem federnden Sprung direkt vor Friederike gelandet war, die Situation in ihrem vollen Ausmaß begriff. Dann aber wurde sein Gesicht schlagartig aschfahl. Zum ersten Mal bemerkte sie, dass er Sommersprossen hatte, winzige Sommersprossen um die Nasenwurzel herum, die ihn noch jungenhafter machten, als er ohnehin schon war. Sprachlos starrte er auf ihren Bauch, unfähig, auch nur die kleinste Regung zu tun. Die Sekunden vergingen.
    »Carl!« Mathildes Stimme klang schrill. »Willst du mich der Dame nicht vorstellen? Ich nehme an, ihr kennt euch …«
    Friederike hatte sich als Erste wieder gefangen. Der Anblick von Carls Sommersprossen hatte ihr ihre Sicherheit zurückgegeben. Sie musste die Situation retten, sie musste sich irgendetwas ausdenken, damit Mathilde keinen Verdacht schöpfte, sie aber trotzdem die Gelegenheit fand, mit Carl unter vier Augen zu sprechen.
    »Herr Bogenhausen, Sie erinnern sich sicher an mich«, begann sie forsch. »Wir sind uns vor ein paar Monaten in Straßburg begegnet, als Sie bei den von Löwenfincks eine größere Menge Fayencen bestellen wollten und ich auf dem Weg nach Paris war. Mein Name ist …«
    Sie stockte. Welchen Namen sollte sie um Himmels willen angeben? Jetzt befand sie sich schon wieder in dieser peinlichen Situation! Bei der Pompadour, als die Wachleute ihren Namen hatten wissen wollen, hatte Giovanni sie aus ihrer Zwickmühle befreit, aber jetzt … Sie konnte doch in Mathildes Anwesenheit nicht ihren Künstlernamen nennen, unter dem sie ihr schon so manches wertvolle Stück verkauft hatte - einmal ganz davon abgesehen, dass sie ja nun sichtlich kein Mann mehr war. Spätestens, wenn sie sich als Friedrich Christian Rütgers vorstellte, würde es selbst im Kopf des Fräulein Leclerc zu klingeln beginnen
und

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