Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
Vom Netzwerk:
missbraucht fühlen mochten.
    Als sie langsam durch die engen Gassen des trotz der frühen Morgenstunde schon belebten Pariser Viertels ritt, in dem Henri Panier und Serge Lirac wohnten, fühlte sie sich vollkommen zerschlagen: Alle Knochen taten ihr weh, ganz zu schweigen von ihrem geschundenen Sitzfleisch. Der Krach auf der Straße war ohrenbetäubend. Die Marktfrauen und Fischhändler schienen in einen Wettstreit getreten zu sein, wer den anderen mit seinem Geschrei übertönte. Die Marktbuden standen dicht an dicht, sodass kaum ein Durchkommen war. Mühsam bahnte sich der Schimmel seinen Weg. Immer wieder musste Friederike aufpassen, dass sie nicht gegen einen der überladenen Obstund Gemüsestände stieß oder einen Wasserbottich umwarf, in
dem die morgendliche Ausbeute aus der Seine vor sich hin dümpelte. Ein Bettler, aus dessen Lumpen die nackten Armstümpfe ragten, hatte sich mitten auf die Gasse gehockt, offenbar in der Annahme, von dieser Position aus am besten an Almosen heranzukommen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihrem Pferd die Sporen zu geben und in einem gewagten Sprung über den Mann hinwegzusetzen.
    Die meisten Besitzer der kleinen Geschäfte und Handwerksbetriebe in den anliegenden Häusern bauten bereits ihre Stellagen auf dem Trottoir auf. Auch Monsieur Panier war dabei, unterstützt von seinem Lehrjungen, umständlich die grün lackierten Fensterläden vor dem großen Schaufenster seines Geschäfts zu öffnen. Er war so beschäftigt, sie zu sichern, damit sie nicht beim kleinsten Windstoß wieder aus den Angeln gerissen würden, dass er erst aufschaute, als der Schimmel mit einem leisen Prusten direkt vor ihm haltmachte.
    »Aber, aber … Frédéric! Sind Sie es wirklich? Um Himmels willen, was ist passiert? Sie sehen ja fürchterlich aus! Und das Kostüm … Wieso sind Sie überhaupt schon wieder zurück? Wir haben Sie nicht vor morgen erwartet!«
    Erschrocken blickte er zu ihr auf. Doch Friederike war zu schwach, sich auf all seine durchaus berechtigten Fragen eine vernünftige Antwort einfallen zu lassen. Mit letzter Kraft schwang sie ihr Bein über den Sattel und ließ sich vom Pferderücken gleiten, direkt in die Arme des alten Mannes, der seinen Lehrling sofort losschickte, erst seinen Gefährten zu benachrichtigen und dann unverzüglich einen Arzt zu holen.

    »Sie wollen doch Ihr Kind nicht verlieren - oder, Madame? Habe ich Ihnen nicht schon einmal gesagt, dass Sie unter keinen Umständen das Bett verlassen dürfen? Was heute passiert ist, hätte nicht passieren müssen, wenn Sie auf mich gehört hätten!«

    Docteur Dupagne musterte sie mit strafendem Blick, als bezweifelte er, dass sie jemals ihre Rolle als Mutter würde ausfüllen können.
    »Für die nächsten zehn Tage verordne ich Ihnen die allerstrengste Bettruhe«, fügte er streng hinzu. »Haben wir uns verstanden? Sonst kann ich für nichts garantieren, aber auch für gar nichts!«
    Friederike drehte den Kopf zur Wand, während der Arzt das Zimmer verließ. Sie wollte nicht mit diesem schrecklichen Menschen sprechen, der sie behandelte, als wäre sie eine Kindsmörderin. Sie wollte sich keine Vorhaltungen anhören müssen, die nur dazu führten, dass sich ihre Stimmung noch mehr verschlechterte. Fast vier Wochen lag sie nun schon darnieder, vier Wochen, die sie in der kleinen Dachkammer neben Henri Paniers Atelier verbracht hatte, ohne sich einen Schritt aus dem Bett zu bewegen. Heute Morgen, nachdem sie die Stille um sich herum, die in heftigem Gegensatz zu dem Aufruhr in ihrem Kopf stand, nicht mehr ausgehalten hatte, war sie so wagemutig gewesen, erstmals wieder die Treppe nach unten in die Küche zu steigen, um ein wenig mit Serge Lirac zu plaudern. Der ehemalige Ballettmeister war dabeigewesen, die Obsternte der letzten Tage einzukochen, und hatte sich entzückt gezeigt, ihr den jüngsten Tratsch aus Versailles berichten zu können, als plötzlich ein stechender Schmerz ihren Unterleib durchzuckt hatte. Erst der Anblick seines entsetzten Gesichts hatte sie auf die kleine Blutlache unter ihrem Stuhl aufmerksam gemacht. Und erst in diesem Augenblick war ihr schlagartig klar geworden, wie sehr der mögliche Verlust des Kindes ihr zusetzen würde. So lang war es nun schon in ihrem Bauch, jeden Tag wurde es ein winziges Stückchen größer, mehr und mehr zu einem richtigen Menschen. Es war kein Wunschkind, beileibe nicht, und es würde in einem denkbar ungünstigen Moment ihrens Lebens auf die Welt kommen. Aber

Weitere Kostenlose Bücher