Die Porzellanmalerin
geht. Und trotzdem habe ich dich verletzt, als ich nicht auf deinen Heiratsantrag eingegangen bin …« Er hielt ihre Hände fest, als sie Anstalten machte, ihm ins Wort zu fallen. »Nein, bitte lass mich ausreden, Friederike, mir ist klar, du siehst das anders als ich, aber es ist doch so: Du als Frau hast mich mehr oder weniger direkt gefragt, ob wir nicht heiraten sollen - wenn das kein Heiratsantrag ist! So war es doch, oder?«
Befriedigt registrierte er ihr zögerliches Nicken. Der Druck seiner Hände hatte sich gelockert, seine Daumen strichen über ihre Handflächen.
»Ich schäme mich sehr, wenn ich daran zurückdenke, dass ich dir angeboten habe, neben Mathilde meine Geliebte zu werden. So etwas tut man nicht, so ein Angebot kann man allenfalls einem einfachen Mädchen aus dem Volk machen, das sowieso keinen Stolz im Leib hat - aber nicht einer Frau wie dir! Wahrscheinlich habe ich dich mit meiner Reaktion damals genauso verletzt wie eben, als ich dich gefragt habe, von wem das Kind in deinem Bauch ist.« Einen winzigen Moment hielt er inne, dann fuhr er fort: »Friederike, dennoch - trotz allem, was ich dir angetan habe, trotz allem, was ich dir in meiner vertrackten Situation nicht bieten kann - wage ich es, dich zu fragen: Willst du meine Frau werden?«
Jetzt war es ausgesprochen, jetzt hatte er ihr die Frage aller Fragen gestellt. Die Frage, auf die sie gewartet hatte, die Frage, die jedes junge Mädchen herbeisehnte. Nun war der Antrag gemacht, nun versprach alles nur noch gut zu werden.
Doch war das wirklich so?, zweifelte sie plötzlich. Würde jetzt tatsächlich alles gut werden? Würde eine Heirat mit Carl Bogenhausen, den sie zwar schätzte und trotz seiner Schwächen von Herzen gern hatte - ja, vielleicht würde sie ihn eines Tages sogar aufrichtig lieben können -, würde eine Heirat mit Carl Bogenhausen sich für sie wirklich als richtig erweisen? Sie war zu ihm gegangen, um genau das von ihm zu fordern, was er ihr nun zu Füßen legte, aber sie hatte die Folgen nicht bedacht. Sie würde ihre Freiheit aufgeben müssen, das wurde ihr nun schlagartig bewusst. Ihre Freiheit als Künstlerin und ihre Freiheit als Frau. Was, wenn Carl sie nicht mehr malen ließe, wenn er ihr verbieten würde, als seine Gattin weiterhin in Höchst zu arbeiten? Und was war, wenn Giovanni eines Tages wieder auftauchte?
Friederike spürte, wie alles in ihr erstarrte. Wenn Giovanni wieder auftauchte … Nun, dann wäre sie an Carl gebunden, ganz einfach! Wenn sie und Giovanni feststellen sollten, nach wie vielen Jahren der Trennung auch immer, dass sie einander nach wie vor liebten und begehrten, dann würde sie nicht mit ihm gehen können, sondern müsste bei Carl bleiben, das war völlig klar.
Aber hatte sie denn eine Alternative?, fragte sie sich zunehmend verzweifelt. Da war das Kind, Carls Kind, das früher oder später seine Rechte einfordern würde. Sie konnte ihm nicht zumuten, in Armut und Schande aufzuwachsen, jetzt erst recht nicht mehr, da Carl ihr tatsächlich einen Heiratsantrag gemacht hatte und sie einfach nur noch »Ja« sagen musste.
Sie wünschte sich plötzlich, weit weg zu sein, weg von Carl, der sie mit großen Augen anstarrte, dessen Händedruck wieder fester geworden war, als müsste er sie halten. Sie wollte fort für
eine Minute, ein paar Sekunden nur, damit sie das Rad, das in ihrem Kopf ratterte und bald durchdrehte, zum Stillstand bringen, damit sie für einen kurzen Moment zur Besinnung kommen konnte.
Sanft entzog sie ihm ihre Hände.
»Ich muss mich hinsetzen, mir ist schwindelig«, brachte sie hervor und tastete nach dem Reissack in ihrem Rücken. Schwer atmend ließ sie sich darauf niedersinken und stützte den Kopf in die Hände. Sie blickte nach unten auf ihre Fußspitzen, die unter dem Saum des dunklen Kleides hervorlugten. Ihre Schuhe waren wie die von Carl mit Staub überzogen; ein getrockneter Grashalm, wo auch immer er herkam, baumelte an der Spitzenborte ihres Unterrocks. Sie wollte Carl jetzt nicht ansehen, sie wollte nicht erneut mit anschauen müssen, wie sich Angst und Unsicherheit auf seinen Zügen ausbreitete, nein, sie wollte nachdenken, einen winzigen Augenblick nur für sich sein, in sich hineinhorchen, um ganz gewiss sein zu können, dass sie jetzt keinen Fehler machte, dass sie die richtige Entscheidung fällte, die richtige Entscheidung für sich und ihr Kind.
»Friederike!« Carl war auf sie zugetreten und stand nur noch einen halben Schritt von ihr entfernt,
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