Die Porzellanmalerin
Schwägerin sagen. »Wenn Emanuel dich im Stich lässt, helfen wir dir eben. Wozu hat man schließlich eine Familie! Außerdem ist es ja auch unser Fest, nicht wahr, Friederike?«
Er nahm ihre Hand, um sie sanft, aber bestimmt auf seinen Arm zu legen, hakte mit der anderen Hand Luise unter, und zu dritt schritten sie auf das Kontor zu, hinter dessen Tür bereits Alessi und der Lehrjunge auf ihre Anordnungen warteten.
» L ulu, jetzt ist aber wirklich Schluss! Du musst jetzt endlich schlafen! Und Mama muss nach unten zu Papa und Oma und zu all den anderen Leuten, die schon auf mich warten.«
Wie auf Kommando bogen sich Ludwigs Mundwinkel wieder nach unten. Weinend lag er in seinem Gitterbett und streckte die Ärmchen nach ihr aus.
Was war nur los mit dem Kind?, fragte Friederike sich gereizt. Er war doch sonst nicht so anhänglich. Oder spürte er einfach nur, wie nervös sie war? Sie hasste sich dafür, dem Jungen ausgerechnet jetzt die nötige Aufmerksamkeit nicht geben zu können. Aber es musste sein, sie durfte nicht noch später nach unten kommen - die Gäste waren mit Sicherheit schon längst alle eingetroffen, und sie war noch nicht einmal angekleidet.
Mit Nachdruck stopfte sie die Ärmchen ihres Sohnes unter das Plumeau. Wie ein kleiner Hund jaulte er auf und machte prompt Anstalten, sich wieder freizustrampeln und an den Gitterstäben
seines Bettchens hochzuziehen. Aber sie konnte sich jetzt nicht länger um ihn kümmern, sie musste so schnell wie möglich in ihr Ankleidezimmer laufen, ihre Abendrobe anlegen und ihr Haar irgendwie bändigen.
Wo war die Zofe, warum half sie ihr nicht, das Korsett zu schnüren? Hastig stieg Friederike in den langen Rock aus goldfarbener Seide und hakte das fliederfarbene Oberteil mit den aufgenähten Blütenblättern über der Brust zu. Über Schultern und Ausschnitt drapierte sie einen weißen Spitzenschal, schlüpfte in ihre hochhackigen Pantoffeln, steckte sich rechts und links zwei Kämme ins Haar, gab ihrem endlich schlafenden Sohn einen Kuss auf die feuchte Stirn und eilte die Stufen ins Erdgeschoss hinunter.
Das Foyer und die beiden Salons rechts und links der großen Freitreppe, die in die oberen Stockwerke führte, brummten vor Menschen in feierlicher Robe. Aus einem der hinteren Räume drang leise Cembalomusik. Die Kandelaber an den Wänden verbreiteten ein angenehm mildes Licht, und die zahlreichen Vasen mit den üppigen Blumensträußen auf dem Boden oder den eigens dafür vorgesehenen Säulenhaltern täuschten eine Witterung vor, die das plötzliche Schneetreiben vom frühen Abend nachträglich Lügen strafte.
Friederike, die auf dem untersten Treppenabsatz stehen geblieben war, um sich einen Überblick über die Gesellschaft zu verschaffen, zog im Stillen den Hut vor ihrer Schwägerin, die es tatsächlich geschafft hatte, aus der düsteren Eingangshalle des Bogenhausen’schen Anwesens ein anheimelndes Ambiente zu zaubern. Die Gäste schienen sich bestens zu amüsieren. Auf den ersten Blick vermochte sie niemanden zu entdecken, den sie kannte. Die meisten Damen wirkten älter als sie selbst, aber vielleicht lag das auch nur an ihrer Kleidung, die fast in allen Fällen steifer und gesetzter als die ihre war. Die Herren, die durchweg wie Geschäftsfreunde des verstorbenen Firmenchefs wirkten, jedenfalls kamen sie ihr noch älter als die Damen vor, trugen
ausnahmslos Perücke. Zwischen all den Menschen hindurch drängten sich livrierte Diener mit großen Tabletts, die mit randvoll gefüllten Gläsern oder Appetithäppchen beladen waren.
Sie merkte auf einmal, wie hungrig sie war. Seit dem Mittagessen hatte sie nichts gegessen, so beschäftigt war sie gewesen, das Personal zu beaufsichtigen, das die beiden großen Tafeln im Speisesaal mit dem von ihr bemalten Geschirr eindeckte. Gleichzeitig hatte sie sich um den quengelnden Ludwig kümmern müssen, der ständig von ihr auf den Arm genommen werden wollte, statt in seinem Bettchen zu schlummern. Unschlüssig blickte sie auf die beiden schweren Vorhänge aus dunkelgrünem Filz, hinter denen die Eingangstür mit dem Vorraum zur Straße lag und durch deren ledergesäumten Spalt immer neue Gäste in den Saal strömten.
Plötzlich erstarrte sie: Sie hatte Emanuel entdeckt, der sich offenbar möglichst unauffällig Eintritt in sein wie ein Bienenstock summendes Haus verschaffen wollte und seinen schneebedeckten Dreispitz und den Redingote einem vorbeieilenden Diener in den Arm drückte, ohne Rücksicht auf das
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