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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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Tablett mit den leeren Gläsern zu nehmen, die dieser nur durch einen gekonnten Balanceakt vor dem Herunterfallen bewahrte.
    Mit beiden Händen fuhr sich Emanuel über die ungepuderten Haare und versuchte nachlässig, sie in das Samtband in seinem Nacken zu schieben. Fasziniert beobachtete Friederike sein von Kälte gerötetes Gesicht. Wo er wohl gerade herkam?
    In dem gelben Licht der Kandelaber sah ihr Schwager weniger saturiert aus als gewöhnlich. Die Tatsache, dass er im Gegensatz zu allen anderen Männern keine Perücke trug und dass sein dunkler Rock trotz des modernen Schnittes dem festlichen Anlass kaum angemessen war, gab ihm fast etwas Verwegenes.
    In dem Moment hob ihr Schwager den Blick. Seine Miene verriet keinerlei Bewegung, als er sie auf dem Treppenabsatz stehen sah. Ohne den vorbeieilenden Kellner eines Blickes zu würdigen, nahm er sich ein Glas Rotwein von dessen Tablett. In
einem Zug stürzte er die Flüssigkeit hinunter, um gleich nach einem zweiten Glas zu greifen, das er ebenso schnell leerte. Achtlos stellte er das Glas neben einer Vase mit Narzissen ab und bahnte sich einen Weg zu ihr nach vorn.
    Je mehr er sich ihr näherte, desto unheimlicher erschien ihr das Leuchten, das von seinen Augen ausging, desto enger wurde ihr ums Herz. Nur noch wenige Schritte trennten sie voneinander, als sie plötzlich nur noch einen Impuls verspürte: Fort, sie musste fort von hier! Sie konnte es jetzt nicht ertragen, mit ihm zu reden, sich seiner Gier, seinem Wahnsinn auszusetzen. Drei Stufen auf einmal nehmend, sprang sie die Treppe hinunter, verhedderte sich in ihrem Rock, stieß gegen einen verdutzten älteren Herrn, entschuldigte sich und quetschte sich durch die langsam dem Speisesaal zustrebende Menschenmenge, bis sie genügend Abstand zwischen sich und Emanuel gebracht hatte.
    An die Tür zum Speisesaal gelehnt, dessen Fenster noch geöffnet waren, um den Raum mit frischer Luft zu füllen, spürte sie, wie ihr Atem sich allmählich beruhigte, wie das Gefühl der Enge in ihrer Brust wieder verschwand. Fröstelnd zog sie den Schal um ihre Schultern. Von ihrem Standort aus konnte sie beobachten, wie sich die Gäste allmählich an den ihnen zugedachten Plätzen niederließen. Unter anderen Umständen hätte sie sich vielleicht sogar einen Spaß daraus gemacht, die Gesichter derjenigen zu studieren, die ihre Köpfe über die Platzkarten beugten, um zu lesen, wen ihnen die Gastgeber als Tischnachbarn zugedacht hatten. Doch sie war einfach nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, der nicht um Emanuel und ihre verfahrene Situation kreiste, einmal mehr, als sie plötzlich mit Schrecken erkannte, dass fast alle Stühle in den beiden ineinander übergehenden Räumen schon belegt waren.
    Erleichtert entdeckte sie Carl am Kopf der größeren Tafel, der ihr mit beiden Armen Zeichen machte, sich zu ihm zu gesellen. Doch kaum wollte sie sich an der Seite ihres Ehemannes niederlassen, der angeregt mit einer schmuckbehangenen Dame zu
seiner Rechten plauderte, fuhr ihr erneut der Schrecken in die Glieder: Während Carl laut Platzkarte seine Schwägerin Luise zur Tischdame hatte, die jedoch noch in der Küche zu sein schien, befand sich ihr Platz offenbar am anderen Kopfende des Tisches, an dem sie nun auch schon Emanuel entdeckte, der mit einem feinen Lächeln auf den Lippen auf den freien Stuhl neben sich deutete.
    »Nun, liebe Friederike, hast du doch noch zu mir gefunden?«, empfing er sie freundlich, nachdem sie ihre Schritte widerstrebend an der langen Tafel mit den vielen grüßenden Köpfen vorbei bis zu ihm gelenkt hatte.
    Trotz ihres Hungers konnte sie während des gesamten Essens kaum einen Bissen hinunterbekommen, all die sieben Gänge hindurch, die von Luise sorgsam aufeinander abgestimmt waren und sowohl dem Fisch- wie dem Fleischfreund Genüge taten und eine breite Palette an Geschmacksfreuden, mal raffiniert, mal rustikal, abdeckten. Stumm beobachtete sie, wie der gleichermaßen schweigsame Emanuel ein Glas Wein nach dem anderen in sich hineinkippte, bis seine Augen immer glasiger und seine Bewegungen immer fahriger wurden.
    Sie musste ihn stützen, als die ganze Gästeschar nach dem Dessert Margarethe Bogenhausens Aufforderung nachkam, sich zum Mokka in den Salon zu begeben. Die alte Dame hatte mit einem einzigen Blick auf ihren älteren Sohn erkannt, dass dieser nicht in der Lage sein würde, die Tafel aufzuheben, und selbst mit dem Obstmesser gegen ihr Weinglas geschlagen, um die

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