Die Porzellanmalerin
Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zu ziehen. Mit unbeweglicher Miene hatte sie die Erinnerung an ihren verstorbenen Gatten wachgerufen, der, würde er noch unter ihnen weilen und seiner Rolle als Firmen- und Familienvorstand nachkommen können - hier hatte sie ihre Augen, in die ein Ausdruck von unverhohlener Missbilligung getreten war, von ihrem einen Sohn zum anderen schweifen lassen -, in seiner Tischrede gewiss darauf bestanden hätte, die Damen beim Kaffee
nicht von den Herren zu trennen und umgekehrt, wie es in manchen Häusern unsinnigerweise Sitte sei.
Unter dem freundlichen Applaus der Gäste hatte Friederike ihren Schwager von seinem Stuhl hochgezogen, um den roten Salon jenseits der großen Treppe anzusteuern, in dem sich auch das Cembalo befand. Ihr war noch immer unwohl in Emanuels Gegenwart; sie achtete darauf, so viel Abstand wie möglich zwischen ihren Körpern zu wahren, während sie ihn notgedrungen in den anderen Raum bugsierte. Aber mittlerweile hatte sich auch ein Gefühl des Zorns zu ihrem Widerwillen hinzugesellt, Zorn auf ihn, auf Carl, auf die ganze Gesellschaft, die sie in diese Situation gebracht hatte. Was mache ich hier, fragte sie sich mit wachsender Empörung, wozu spiele ich diese Komödie überhaupt noch mit?
»Lllie… liebe Schwww…ägerin, du … du ssssiehst … umwwwerfend ausss«, lallte Emanuel in ihr Ohr, als hätte er in seinem trunkenen Zustand ihre Gefühlslage erraten.
Mehr als einmal brachte er sie fast zum Straucheln, weil er sich mit seinem ganzen Gewicht gegen sie lehnte.
Als sie endlich den in schummriges rotes Licht getauchten Salon mit den niedrigen Tischchen und bequemen Sofas und Fauteuils erreicht hatten, warteten dort bereits Luise und Carl auf sie. Während dieser nach ihrem, Friederikes, Arm griff, um sie an eines der Tischchen zu führen, erkannte sie aus den Augenwinkeln, dass auf den Fensterbänken mehrere Porzellanobjekte aufgereiht waren, die am Nachmittag noch nicht dort gestanden hatten. Alle waren lediglich weiß glasiert, etwa eine Elle lang und zwei, drei Handbreit hoch.
»He, was sssoll das, Brrruder? Dddie … die Dame gehhhört mir!«
Wie eine Trophäe hielt Emanuel ihr Schultertuch in der Hand. Er musste es einfach festgehalten haben, als sie sich von ihm gelöst hatte. Friederike spürte den kühlen Lufthauch, der ihre entblößten Schultern umwehte. Doch noch bevor sie etwas sagen
konnte, war Emanuel mit einem Satz, der für einen Mann seines Zustandes erstaunlich behände war, hinter sie gesprungen und legte besitzergreifend die Hände um ihre Taille.
»Lass mich los!«, raunte sie so leise, dass nur er sie hören konnte. »Sofort - oder ich schreie!«
»Was willst du - schreien? Nur weil ich dich anfasse? Du willst doch nichts anderes, als dass dich einer anfasst, du verkommenes Weib …«
Auch er hatte seine Stimme zu einem Flüstern herabgesenkt, wie er ihr überhaupt schlagartig ernüchtert schien. So unauffällig wie möglich versuchte sie sich aus seinem Griff zu winden.
Doch Emanuel war stärker. Wie ein Schraubstock hielten seine Hände ihre Taille umfasst.
»Eins rate ich dir, liebe Schwägerin: Mach jetzt keine Szene, du wirst es bitter bereuen! Komm lieber mit, ich zeige dir was Schönes.«
Er machte Anstalten, sie mit sich in eine Ecke des Zimmers zu ziehen, doch da stand schon Carl neben ihnen, ihr Schultertuch in der Hand.
»Was geht hier vor, Friederike? Warum liegt dein Schal auf dem Fußboden? Merkst du nicht, wie unsere Gäste unruhig werden, wenn du dich so gehen lässt?«
Anklagend wies er auf das weiße Stück Stoff, das sich wie eine Fahne im Wind vor ihnen bauschte. Auch er hatte mehr als genug getrunken, wie sie an seinem flackernden Blick erkannte.
»Was hier vorgeht?«, erwiderte sie langsam. »Das solltest du lieber deinen Bruder fragen …«
Was fiel ihm ein, ihr Vorwürfe zu machen? Das war jetzt wirklich der Gipfel! Statt sie vor seinem zudringlichen Bruder zu beschützen, putzte Carl sie vor aller Augen herunter wie ein kleines Kind! Friederike war nun alles egal. Sollte sich doch ein Streit zwischen den Brüdern entzünden, sollten sie doch die legendäre Ehre der Bogenhausens mit einem hübschen kleinen Skandal ein für alle Mal zunichte machen!
Ohne ihr weiter Aufmerksamkeit zu schenken, packte Emanuel nun Carl beim Handgelenk und zog ihn mit sich zur Fensterbank.
»Siehst du diese reizenden Figuren hier, Bruderherz?«, fragte er so laut, dass die beiden Paare, die an einem der
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