Die Porzellanmalerin
heruntergebrannt, die Kerze erloschen. Mit steifen Gliedern erhob sie sich aus dem Ledersessel und taumelte in der Dunkelheit zum gegenüberliegenden Salon, der auf den Innenhof hinausging. Der von unten heraufdringende Fackelschein leuchtete ihr den Weg zum Fenster. Die Stirn an das kühle Glas gepresst, konnte sie sehen, wie Carl einen Fuß in den Steigbügel setzte, um sich auf den Rappen zu schwingen. Rasch schob sie das Fenster hoch und reckte den Kopf in die eisige Luft. Jede Benommenheit war von ihr abgefallen.
»Carl, warte!«
Gustav, der das Pferd am Zaumzeug hielt, und eine Küchenmagd, die offenbar gerade damit beginnen wollte, den Hof zu kehren, blickten zu ihr herauf. Nicht so ihr Mann.
Friederike sah, wie Gustav leise auf Carl einredete und mit ausgestrecktem Arm in ihre Richtung zeigte. Doch dieser schüttelte nur den Kopf, nahm seinem Knecht die Zügel aus der Hand und gab dem Rappen die Sporen. Ohne sich noch einmal umzublicken, galoppierte er durchs offene Hoftor hinaus.
Auf den Gesichtern der Dienstboten zeichnete sich Verblüffung ab. Achselzuckend warf Gustav ihr noch einen Blick zu. Anscheinend hatte sich der Skandal vom Vorabend noch nicht bis zum Personal herumgesprochen.
So enttäuscht sie über das Verhalten ihres Mannes war, so wenig
überraschte es sie. Schließlich war Carl nach der Szene im roten Salon einfach verschwunden, ohne noch ein Wort an sie zu richten. Er musste in den Räumen seiner Mutter übernachtet haben. Vor dem Getuschel der Gäste, vor der ganzen Peinlichkeit hatte er sich einfach gedrückt. Noch immer fragte sie sich, wie sie es eigentlich geschafft hatte, den Rest des Abends zu überstehen. Von den Gästen hatten sich viele früher verabschiedet als erwartet.
Eine jüngere Bankiersgattin mit schmal gezupften Augenbrauen hatte der kreidebleichen, aber gefassten Margarethe Bogenhausen zugelispelt:
»Ein wunderbarer Abend, wie immer bei Ihnen, Verehrteste, aber Konstantin muss morgen leider früh raus. Er fährt nach Basel. Da wollen wir ein bisschen eher gehen als sonst.«
»Natürlich, danke, dass Sie gekommen sind, Madame. Ich freue mich, dass der Abend Ihnen gefallen hat«, hatte ihre Schwiegermutter todernst erwidert.
Ein älterer Bankier, dem die Szene im Salon offenbar entgangen war, hatte das höfliche Schweigen nichts ahnend gebrochen und sich lauthals erkundigt:
»Wo ist denn der junge Herr Bogenhausen abgeblieben? Ich wollte mich doch noch von ihm verabschieden!«
Seine Frau hatte nur entschuldigend in Margarethes Richtung gelächelt und ihm etwas ins Ohr geflüstert.
»Ich höre doch auf dem Ohr nichts!«, hatte der Mann unwirsch gerufen. »Sprich lauter, Elisabeth!«
Mit suchendem Blick war er stehen geblieben, bis es seiner Frau schließlich gelungen war, ihn unter fortwährendem Lächeln und Grüßen zur wartenden Kutsche nach draußen zu bugsieren.
Margarethe Bogenhausen hatte bis zur Verabschiedung des letzten Gastes gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Sie war so perfekt in ihrer Rolle gewesen, dass einige Gäste am Ende tatsächlich überzeugt zu sein schienen, sich den ganzen Eklat nur eingebildet zu haben. Zumindest diejenigen, die zuviel getrunken
hatten, würden am nächsten Morgen nicht mehr sicher sein, was wirklich passiert war, hatte Friederike mit einer gewissen Befriedigung festgestellt.
Luise indessen war nicht mehr von der Seite Emanuels gewichen, der ohne ihren festen Arm wahrscheinlich irgendwann umgekippt wäre. Wie ein Schäferhund neben einem kranken Schaf hatte sie bei ihrem Mann gestanden und darüber gewacht, dass er kein weiteres Unheil anrichtete. Immer wieder hatte Friederike ihre strafenden Blicke aufgefangen: »Ich habe so viel Arbeit mit diesem Fest gehabt, und du bist schuld, dass alles umsonst war«, hatte die Schwägerin ihr wohl zu signalisieren versucht.
Als endlich die letzten Kaleschen vom Hof gefahren waren und sie erschöpft und aufgewühlt in ihr Schlafzimmer gelangt war, hatte Friederike feststellen müssen, dass das Bett mit dem roten Baldachinhimmel unberührt geblieben war. Sie hatte den Kopf in die Bibliothek gesteckt, war von dort in den Salon hinübergelaufen, dann zu Ludwig, der selig schlummerte, doch nirgendwo hatte sie Carl entdecken können. Schließlich hatte sie sogar in Erwägung gezogen, auch im restlichen Haus nach ihm zu suchen, die Idee aber schnell wieder verworfen, weil sie nicht wusste, was schlimmer gewesen wäre: einem betrunkenen Emanuel in die Arme laufen, sich dem Zetern
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