Die Porzellanmalerin
ihrer Schwägerin auszusetzen oder mit der Schwiegermutter, die sich vermutlich eher ein Bein ausgerissen hätte, als den Skandal des Abends anzusprechen, über Belanglosigkeiten zu plaudern.
Statt sich in das leere Ehebett zu legen, hatte sie sich in ihrem geliebten Ledersessel in der kleinen Bibliothek niedergelassen und auf den Globus gestarrt, der auf einem Podest mitten im Zimmer stand. Was hätte sie dafür gegeben, weit weg, am besten auf einem anderen Erdteil zu sein! Wie hatte ihr in kürzester Zeit ihr Leben nur so entgleiten können? Was sollte sie Carl sagen? Wie sich in Zukunft Emanuel gegenüber verhalten?
Ihre Ehe war am Ende, darüber musste sie sich wohl keine Illusionen machen. Carls Reaktion war mehr als eindeutig gewesen.
Dabei war sie sich - zumindest im Hinblick auf Caspar oder die »Badenden« - keinerlei Schuld bewusst. Sie hatte als junges Mädchen ein wenig für den Modelleur geschwärmt. Na und? Konnte man ihr deswegen etwa einen Vorwurf machen? Alles Weitere, was nun als Anklage gegen sie im Raum stand, hatte Caspar frei erfunden. Es war vielleicht ein wenig naiv gewesen, mit ihm schwimmen zu gehen. Und sicherlich nicht gerade schicklich. Ja, sie hätte definitiv nicht mit ihm baden sollen! Aber, mein Gott, wie hätte sie denn voraussehen können, dass Caspar die Situation so ausnutzte? Das musste Carl doch verstehen! Sie war einfach leichtfertig gewesen und hatte nicht an die Folgen ihres Tuns gedacht. Sie hatte Caspar völlig falsch eingeschätzt, ja, dummerweise nicht in Rechnung gestellt, dass er so grundverdorben war.
Friederike hatte ihre müden Beine ausgestreckt und mit dem Fuß leicht gegen den Globus getippt. Nach ein paar Umdrehungen war die Weltkugel bei Europa stehen geblieben. Wie ein Uhrzeiger hatte ihre Schuhspitze auf Italien zeigt. Ja, dort, in diesem herrlichen Land lag das eigentliche Problem begründet!, hatte sie mit einem Anflug hysterischer Heiterkeit gedacht. Bei Licht betrachtet war nämlich gar nicht Caspar ihr Problem. Über ihn würde sie mit Carl reden können. Nein, in ihren Gefühlen für Giovanni lag das Dilemma. Darin, dass sie ihn einfach nicht vergessen konnte. Ihre Ehe mit Carl war ein Irrweg gewesen, eine Sackgasse, in der sie nun feststeckte. Hätte sie in Straßburg geahnt, dass sie Giovanni eines Tages wiedersehen würde, hätte sie nie etwas mit Carl angefangen, dann wäre sie nicht schwanger geworden und hätte ihn nicht heiraten müssen.
Sie hatte die Beine wieder angezogen und die Absätze ihrer hochhackigen Pantoffeln in die Sesselkante gebohrt. Die Knie unter dem weiten Rock mit den Armen umschlungen, hatte sie das Kinn auf den gelben Seidenstoff gelegt. Natürlich gäbe es dann auch Ludwig nicht, ihren über alles geliebten süßen kleinen Sohn, hatte sie ihre Überlegungen fortgeführt. Und wegen
Ludwig war sie froh, diesen Weg gegangen zu sein. Um ihre Ehe zu retten, um ihrem Kind weiterhin ein gutes Zuhause zu bieten, würde sie Carl folglich anlügen müssen. Aber eine so gute Lügnerin war sie nicht, dass sie über Giovanni hätte reden können, ohne dass man ihr angemerkt hätte, welche Gefühle sie für ihn hegte. Zumindest traute sie sich das nicht zu. Zwar hatte ihr ganzes Dasein als Friedrich Christian Rütgers aus einer einzigen großen Lüge bestanden, aber das war immer noch etwas anderes, als zu behaupten, dass dieser Italiener, mit dem sie es laut Emanuel angeblich »ständig trieb«, ihr nichts bedeutete. Aber war ihre Ehe denn überhaupt zu retten? Konnte sie nach dem heutigen Abend ihr altes Leben an Carls Seite in dem Haus seiner Familie weiterführen?
Immer wieder war Friederike hochgeschreckt, wenn ihr der Kopf auf die Brust gefallen war, immer wieder hatte sie ihre schweren Gedanken hin und her gewälzt, bis sie irgendwann eingeschlafen war.
Sie würde Carl die ganze Giovanni-Geschichte von ihren Anfängen in der Rochlitzer Poststation bis hin zu ihrem vorläufigen Ende auf Schloss Bellevue einfach schonungslos berichten, musste sie irgendwann im Laufe der Nacht beschlossen haben - jedenfalls war ihr dieser Gedanke am deutlichsten in Erinnerung, als sie nun in der kühlen Morgenluft am offenen Fenster stand. Obwohl Carl längst nicht mehr zu sehen war, hatte sie bestimmt noch eine halbe Stunde reglos in der Kälte ausgeharrt. Gustav war wieder im Haus verschwunden, nur die Küchenmagd schwang ihren großen Besen nach wie vor emsig auf dem gepflasterten Teil des Hofes hin und her.
Als der erste schwache Lichtstreif
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