Die Porzellanmalerin
rollenden »r« und sein exzentrisches Gehabe nicht hinwegtäuschen können, sie hielt ihn eher für einen Schweizer, aber eine der Frauen, eine nicht mehr ganz junge, freilich noch immer sehr ansehnliche, stolze Blondine mit verhangenem Blick und einem mindestens zwei Jahre alten Kleinkind am Busen, das immer wieder gierig nach ihrer geröteten Brustwarze schnappte, erinnerte sie doch sehr an die Contessa.
Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte sie den ganzen Abend, der im Übrigen sehr vergnüglich und feuchtfröhlich verlaufen war, immer wieder versucht, den unerwünschten und zeitraubenden
Auftrag abzuwehren, doch als sie am nächsten Morgen früh in den Schankraum hinunterkam, standen schon mehrere große Pappen, Pinsel und Farben bereit, bewacht vom langen Gustav, dem die Rolle des Hanswursts auch im wahren Leben wie auf den Leib geschneidert schien. Friederike hatte sich geschlagen gegeben und nicht nur eine traumhafte Venedigkulisse mit zahlreichen Kanälen und Gondolieri, sondern auf Montezumas inständiges Flehen hin ebenfalls einen griechischen Hintergrund für eine noch von ihm zu verfassende Tragödie gemalt: einen Tempel mit dorischen Säulen, Berge, das Meer mit kleinen Inseln, bärtige Männer in Toga und Sandalen, Frauen mit fließenden weißen Gewändern. Beide Bühnenbilder waren dafür, dass sie eigentlich nur die kleine Form beherrschte und noch dazu keinerlei Vorlage zur Verfügung gehabt hatte, erstaunlich gut geworden, und unter heftigem Applaus der restlichen Truppe hatte der Prinzipal ihr schließlich zum Abschied einen Taler in die Hand gedrückt - ihr erstes selbst verdientes Geld.
Sie war noch nicht sehr weit gekommen, als sie vor einem heftigen Hagelschauer eine ganze Weile Unterschlupf in einer Felshöhle in einem kleinen Wäldchen hatte suchen müssen. Die Gegend war zunehmend flacher geworden, und Tamerlano, der nicht mehr bergauf und bergab laufen musste, hatte seine alte Munterkeit wiedergefunden und schritt zügig aus. Bereits kurz hinter Gelnhausen war ihr die letzte Reisekutsche begegnet, und selbst die ortsansässigen Bauern und Jäger schienen die einsame Straße eher zu meiden.
Doch Friederike verspürte keine Angst, sie war ja nicht allein. Wenigstens nicht im Geiste. Wieder einmal wanderten ihre Gedanken zu Giovanni, zu ihren Gesprächen und zu der plötzlichen Leidenschaft, die der Italiener in ihr geweckt hatte. Sie war sich nicht sicher, was er wirklich für sie bedeutet hatte. Auf
jeden Fall hatte er eine starke körperliche Anziehung auf sie ausgeübt. Sie hätte nie vermutet, dass jemals ein Mann in der Lage sein würde, ihr eine solche Hingabe zu entlocken. Sie hatte sich in Gefühlsdingen selbst immer eher als nüchtern eingeschätzt, erst recht in sexueller Hinsicht - obwohl sie natürlich nie genau gewusst hatte, was sie sich darunter vorstellen sollte. Wenn Charlotte ihr nicht eines Tages kichernd etwas von der »Vereinigung von Mann und Weib« erzählt hätte, als die beiden zufällig Zeuginnen wurden, wie ein Straßenköter eine Hündin begattet hatte, und Caspars Kuss im Irrgarten ihr nicht eine Ahnung davon vermittelt hätte, was die Berührungen eines Mannes in ihr auszulösen vermochten, hätte sie sich Giovanni gegenüber noch unbedarfter angestellt. Aber offenbar war sie für die Liebe geboren - wie sonst wäre zu erklären, dass sie sich letztlich kaum damenhafter als die Contessa benommen hatte? Von wegen »Seele geht über Körper!«
Friederike lachte leise, als sie an die flammende Rede zurückdachte, die sie Giovanni nach Emilias erotischer Attacke in der Kutsche gehalten hatte. Schade, dass er jetzt nicht hier war - er hätte sicher Sinn für diese Art von Humor gehabt.
Sie schreckte aus ihren Gedanken auf: Tamerlano hatte die Ohren angelegt und tänzelte, statt weiter zügig auszuschreiten, mit einem Mal auf der Stelle herum. Sie hörte ein Rascheln im Unterholz, dann ein Knacken. Plötzlich sprangen zwei Männer aus dem Gebüsch. Der eine stürzte zielstrebig auf das Pferd zu, um es an der Trense zu packen, während der andere sich im Hintergrund hielt, jedoch eine schwere Eisenpistole auf sie richtete.
»Steigen Sie sofort ab!«, befahl er mit leiser Stimme, in der ein drohender Unterton mitschwang.
Sein Dialekt klang so fremd, dass sie nicht sicher war, ob sie ihn überhaupt richtig verstanden hatte. Doch seine Miene ließ keinen Zweifel an seinen Absichten aufkommen. Der Mann hatte eine Narbe über dem rechten Auge und war in schmutzige
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