Die Porzellanmalerin
überprüfen, ob die Räuber wirklich verschwunden waren. Erst dann bestieg er sein eigenes Pferd, nahm Tamerlanos Zügel in die Linke, und langsam brachen sie in die Richtung auf, aus der er gekommen war.
Die ganze Zeit, während sie durch den Wald ritten, hatte ihr Retter sich immer wieder nervös umgeblickt, das war Friederike, die sich in ihrer Benommenheit nur mühsam auf dem Rücken des Rotfuchses halten konnte, immerhin aufgefallen. Sie hatte auch registriert, dass sich die Landschaft um sie herum verändert hatte und städtischer geworden war.
Ein paar Worte miteinander gewechselt hatten der Fremde und sie erst in dem Moment wieder, als sie vor einem Gasthof anhielten. Mehrere Leute kamen herbeigeeilt, um ihr vom Pferd zu helfen und sie eine steile dunkle Treppe hinauf in ein kleines Zimmerchen zu tragen, wo sie ermattet aufs Bett niedersank.
»Sollen wir einen Wundarzt holen?«, fragte eine weibliche Stimme besorgt, die einer älteren Frau zu gehören schien.
»Nicht nötig«, antwortete Friederike in einem letzten Akt der Selbstbeherrschung. »Ich muss mich nur etwas ausruhen, dann wird es schon wieder gehen«, fügte sie noch hinzu.
Sie war nicht so benebelt, zu vergessen, dass ein Arzt ihr wahrscheinlich sofort auf die Schliche gekommen wäre und
ihre Kostümierung durchschaut hätte. Anscheinend klang ihre Stimme einigermaßen normal und sahen auch ihre Verletzungen nicht so gravierend aus, wie sie sich anfühlten, sonst hätte die alte Frau sich sicher nicht so schnell abwimmeln lassen.
»Dann lassen wir Sie jetzt allein«, erklang in dem Moment die Stimme des fremden Reiters. »Ich bin unten in der Gaststube, falls Sie mich brauchen«, waren die letzten Worte, die sie hörte, bevor die Erschöpfung sie übermannte.
E in Klopfen an der Tür weckte sie. Um sie herum war alles stockdunkel. Sie wusste weder, wo sie sich befand, noch wie lange sie geschlafen hatte.
»Herein«, krächzte sie mit belegter Stimme. Allmählich wurde die Erinnerung an den Überfall und auch an ihre wundersame Rettung wieder in ihr wach. Ja, sie befand sich in einem Gasthaus, ein Fremder hatte sie vor zwei Wegelagerern gerettet und hierhergebracht.
Eine Frau, wohl die Wirtin, kam mit einer Kerze und einem Tablett schlurfend ins Zimmer herein. Die mit Leberflecken übersäte Hand, mit der sie die Kerze auf dem Nachttisch abstellte, zitterte ein wenig.
»Ihr Freund hat mich gebeten, nach Ihnen zu sehen und Ihnen ein Glas Wasser und gepökeltes Fleisch mit Brot zu bringen. Er hat uns erzählt, was passiert ist, und redet jetzt unten mit dem Gendarmen. Leider passiert so was häufig hier in der Gegend. Wie fühlen Sie sich?«
Sie hatte mit merkwürdig schleppender Stimme gesprochen und erinnerte Friederike an die böse Hexe aus den alten Märchen, die ihre Großmutter ihr früher immer erzählt hatte. Fast meinte sie, einen schwarzen Raben auf der Schulter der Alten zu sehen.
Doch einen noch größeren Schreck als ihre Erscheinung jagte Friederike das Wort »Gendarm« ein. Zwei Wochen lang hatte sie es geschafft, ihre wahre Identität zu verbergen und bis über
die Grenze zu kommen, nur noch wenige Tagesritte dürften sie von ihrem Zielort trennen. Das alles wollte sie auf gar keinen Fall aufs Spiel setzen, indem sie mit irgendeinem Gendarmen sprach, der ihr nur neugierige Fragen stellen würde. Schlagartig war aller Nebel aus ihrem Kopf verschwunden. Sie fühlte sich auch nicht mehr unter Schock. Nur die Schmerzen waren noch da, und selbst ohne bisher einen Schritt aus dem Bett getan zu haben, wusste sie mit ernüchternder Sicherheit, dass ihr linkes Knie steif war.
»Ich fühle mich nicht besonders gut«, murmelte sie, um Zeit zu gewinnen. Sie durfte auf keinen Fall den Eindruck vermitteln, sie sei in der Lage, den Wachtmeister in ihrem Zimmer zu empfangen oder gar aufzustehen und zu ihm nach unten zu gehen.
»Aber lassen Sie ruhig das Tablett und die Kerze hier. Ich werde versuchen, etwas zu essen.«
»Sollen wir nicht doch lieber den Doktor holen, junger Herr?«
»Nein, nein, bitte machen Sie sich keine Umstände, das wird schon wieder.«
»Ich lasse vorsichtshalber die Tür angelehnt. Rufen Sie, wenn Sie noch etwas brauchen!«
Kaum war die Alte den ersten Treppenabsatz hinuntergepoltert, stürzte Friederike sich auf das Essen und das Wasser. Sie hatte einen Bärenhunger und, auch nachdem sie das Glas Wasser hinuntergekippt hatte, riesigen Durst. Wie gern wäre sie jetzt nach unten in die Gaststube gegangen!
Weitere Kostenlose Bücher