Die Porzellanmalerin
ihnen aus Höchst.« Er nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. »Ein trauriges Kaff«, fügte er nach einer Weile mit einem bedauernden Achselzucken hinzu. »Wenn man nicht gerade in der Porcellaine-Fabrique arbeitet … Und da wollen Sie ja wohl hin, oder nicht?«
»Nun …« Friederike zögerte. Sie wusste nicht recht, ob sie diesem gänzlich Unbekannten Vertrauen schenken konnte.
»Da wollt ihr doch alle hin, die ihr aus Meißen kommt!«, mischte sich ein älterer Herr ins Gespräch. Er saß zwei Plätze weiter links von Beyer und hatte ihrem Geplänkel schon länger zugehört.
»Sie scheinen sich ja gut in der Porzellanbranche auszukennen«, versuchte sie von ihrer Person abzulenken. Dankbar nickte sie dem Kellner zu, der eben einen großen Teller Spundekäs mit einer riesigen Laugenbrezel vor ihr abgestellt hatte.
»Wissen Sie, wir Höchster, wir kriegen halt mit, was bei uns so abläuft! Seit Kommerzienrat Benckgraff und sein Ofenbauer -
wie heißt er noch gleich? - ja, genau, seit dieser Ringler und er da sind, weht ein anderer Wind bei uns im Ort. Nicht zuletzt wegen euch! Ihr Sachsen, ihr seid halt tüchtige Leut’, keine Frage! Ohne euch würden wir doch immer noch Fayencen backen. So wie die Hanauer …«, lachte er meckernd.
Wieder hob Beyer sein Glas, um ihr zuzuprosten. Auch der Alte schien mit ihr anstoßen zu wollen. Kaum hatte sie die Geste erwidert und ihr Glas abgestellt, stand auch schon ein neues vor ihr, das randvoll mit der trübgelben Flüssigkeit gefüllt war.
Als Friederike sich nach mindestens fünf Gläsern Apfelwein schließlich ziemlich wackelig auf den Beinen von ihren beiden neuen Bekannten verabschiedete, hatte sie nicht nur jede Menge Wissenswertes über die Verhältnisse in der Höchster Porzellanmanufaktur erfahren, sondern auch noch die Anschrift von Beyers älterer Schwester Josefine in der Tasche, einer kinderlosen Witwe, die immer wieder gern Zimmer an Künstler von auswärts vermietete.
Sie war froh, als sie nach einer halben Stunde Fußmarsch auf einigen Umwegen den Main überquert und die Hasengasse gefunden hatte, um todmüde in ihr Bett zu fallen - nicht ohne sowohl ihres Vaters zu gedenken, der gewiss manch eine Nacht im selben Bett verbracht hatte, als auch Giovannis, der sich wahrscheinlich längst wieder eine neue Gespielin für sein Nachtquartier gesucht hatte. Mit diesen zwiespältigen Gefühlen schlief sie weit nach Mitternacht endlich ein.
Am nächsten Morgen wurde sie von dem lauten Getöse, das unten auf der Gasse herrschte, zeitig geweckt. Noch war am Horizont erst ein winziger Streifen Blau zu erkennen, wie ein Blick aus dem Fenster ihr verriet. Der Tag versprach schön zu werden. Umso besser für die Schifffahrt, die ihr bevorstand. Von Frankfurt bis Höchst war es zwar nicht ganz so weit wie von Hanau
bis Frankfurt, aber bei Sonnenschein hatte sie sicher mehr davon als bei nasskaltem Wetter. Schließlich wollte sie auch gern etwas sehen von ihrer künftigen Heimat. Die Fahrt mit dem Schiff würde hoffentlich nicht allzu lange dauern. Sie wollte ja auch noch in der Manufaktur vorstellig werden. Und Josefine Heller, die Zimmerwirtin, sollte sie wohl ebenfalls besser zu einer anständigen Tageszeit aufsuchen, wenn sie bei ihr Quartier zu nehmen gedachte.
Friederike sprang in ihre Kleider, band sich einen halbwegs passablen Zopf und schnürte ihr Bündel. Der Kopf tat ihr weh vom übermäßigen Apfelweingenuss, aber damit konnte sie sich jetzt nicht aufhalten. Rasch verabschiedete sie sich bei ihren Wirtsleuten und machte sich auf zum Fahrtor.
Das Mainzer Marktschiff lag bereits abfahrbereit. Außer ihr waren zu dieser frühen Morgenstunde nur wenige Passagiere an Bord, offenbar Fremde wie sie. Der Kapitän ließ es sich nicht nehmen, ihnen eine kleine Einführung in die Frankfurter Stadtgeschichte zu geben. Kaum waren sie so weit mainabwärts gefahren, dass sie die Begrenzung durch die Stadtmauer passiert hatten, wurden auch schon die ersten Gärten mit den Sommervillen der reichen Frankfurter Bürger am rechten und linken Mainufer sichtbar.
»Hier sehen Sie die Gartenvilla der Familie von Loën mit den Statuen und Prunkvasen des Andreas Donett, meine Herrschaften, Schauplatz nicht weniger hochbrisanter diplomatischer Ereignisse«, gluckste der Kapitän in sich hinein. »Und dieses nette kleine Häuschen«, fuhr er nach einer Weile, auf die gegenüberliegende Flussseite deutend, fort, an der hinter hohen Bäumen eine hochherrschaftliche Villa
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