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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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unter der Brücke hindurchfuhren. Schon kamen auf der Stadtseite des Flusses der mächtige Turm des Kaiserdoms und die ersten Wohnhäuser in Sicht.
    Am Kai wimmelte es nur so von Leuten: Hafenarbeiter, Fischverkäufer, schwer bepackte Reisende, flanierende Bürgerpaare mit ihren Kindern, Bettler, Bauern, Fuhrleute, die ihre Ackergäule durch die quirlige Menge zu lenken versuchten. Ein Kran hob riesige Fässer aus den am Ufer ankernden Lastkähnen, um sie mit einem gewaltigen Schwenk auf die wartenden Fuhrwerke zu heben. Kleine Fischernachen wuselten an der Anlegestelle hin und her. Friederike sah, wie einer der Leinreiter dem Kapitän ihres Schiffes etwas zurief, weil die Treidelpferde zu scheuen begannen. Der Mann hatte eine verzweifelte Miene aufgesetzt. Er schien sein eigenes Wort nicht mehr zu verstehen und
wirkte aufrichtig besorgt, dass sie das Schiff nicht wie geplant auf der Höhe des Fahrtors festmachen konnten.
    Schließlich hatten sie es geschafft. Das Mainzer Marktschiff, mit dem sie nach Höchst weiterfahren wollte, lag direkt hinter ihnen am Kai und wartete auf Kundschaft. Sie verabschiedete sich von Marie, die in Frankfurt bei Verwandten Station machen wollte, und war nun doch froh, die Französin los zu sein. Sie konnte es kaum mehr erwarten, endlich in Ruhe über Giovanni nachzudenken. Maries letzte Bemerkung über seinen Streit mit der Contessa und die » puttana « hatten das Blatt wieder gewendet. Kein Zweifel, damit war ja wohl sie gemeint gewesen! Sie lächelte. Eine Hure, ja, so hatte die Contessa sie in jener Nacht in Köstritz genannt, eine puttana , eine strega oder so ähnlich …
    Plötzlich stutzte sie. Aber was, wenn Marie sich vertan und die Contessa gar nicht von einer Frau aus Köstritz, sondern von dem hübschen Fräulein aus Weimar gesprochen hatte? Immerhin war sie Französin, und Giovanni und Emilia hatten garantiert auf Italienisch gestritten - gut möglich also, dass die Zofe nicht alles richtig verstanden hatte! Abgesehen davon lagen Weimar und Köstritz relativ dicht beieinander; wahrscheinlich waren die Italiener am Tag nach ihrem, Friederikes, überstürzten Aufbruch bereits in Weimar angelangt, sodass Marie auch die zeitliche Abfolge durcheinandergebracht haben konnte. Es lag ja mittlerweile alles eine ganze Weile zurück.
    Jetzt wusste sie überhaupt nicht mehr, was sie denken sollte. Hatte Giovanni im Streit mit der Contessa sie gemeint mit der Frau, auf die er sein Leben lang gewartet hätte, oder eine andere? Liebte er sie, nur sie, und würde nach ihr suchen, damit sie sich eines Tages tatsächlich wiedersähen, so wie er es versprochen hatte? Oder war sie für ihn bloß eine von vielen gewesen, ein nettes kleines Abenteuer zwischen der wilden Contessa und dem hübschen Weimarer Fräulein?
    Nein, so konnte das nicht weitergehen! Friederike schüttelte den Kopf. Diese ewigen Grübeleien, dieser ständige Wechsel
von Hochgefühl und tiefer Bedrückung, dem wollte sie sich nicht länger aussetzen. Sie musste sich diesen Mann aus dem Kopf schlagen, ein für alle Mal! Und wenn er noch so sehr ihre große Liebe hätte sein können. Aus und vorbei. Ein neues Kapitel würde beginnen, jede Erinnerung an das vorangegangene gehörte ausgelöscht.
    »Könne Se net uffpasse? Ei, wo simmä dann mit unserne Gedanke?«
    Ihren Fischbottich auf dem Kopf balancierend, schaute ihr die Magd, die sie offenbar angerempelt hatte, belustigt ins Gesicht.
    Friederike blieb stehen. Prompt wurde ihr von hinten eine Schubkarre in die Kniekehlen geschoben.
    »Net stehe bleibe!«, brüllte der Besitzer der mit Steckrüben beladenen Karre sogleich, während er kopfschüttelnd einen Bogen um sie lenkte. Auch er schien eher amüsiert als aufgebracht.
    Ein Schiffssignal ertönte. Das Marktschiff! Wenn sie heute noch nach Höchst wollte, musste sie sich beeilen. Die Leinen waren bereits losgemacht, die Treidelpferde scharrten mit den Hufen.
    Friederike schaute hinüber auf die andere Mainseite und ließ ihre Blicke über die Silhouette des alten Dorfes schweifen: die Stadtmauer, der Brückenturm, die Dreikönigskirche. Während der Fahrt von Hanau nach Frankfurt hatte sie mitbekommen, wie zwei Mitreisende sich über den Stadtteil »dribb de Bach« und seine berühmten Apfelweinschenken unterhalten hatten. »Ei, des Stöffsche sollst aach emol versuche«, hatte ihr einer der beiden älteren Herrschaften fröhlich zugerufen, als er ihr Interesse an dem Gespräch bemerkt hatte.
    Sie nickte in Gedanken.

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