Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
Vom Netzwerk:
samt Wirtschaftsgebäuden und Stallungen auftauchte, »gehört der Familie Wiesenhütten-Barckhaus, die, wie Sie sehen können, nicht gerade zu den ärmsten unserer Stadt zählt.«
    Friederike fragte sich, ob sie wohl jemals Gelegenheit haben würde, in diese Frankfurter Kreise vorzudringen. Ihrer Mutter
mit ihrem unnachahmlichen gesellschaftlichen Talent wäre das zweifellos innerhalb weniger Wochen gelungen. Mit Sicherheit hätte sie auch hier über kurz oder lang den passenden Bräutigam für ihre Tochter aus dem Hut zu zaubern vermocht. Friederike schüttelte sich, als ihr das konturlose Gesicht von Per Hansen vor Augen erschien. Wäre sie nicht rechtzeitig von zu Hause weggelaufen, wäre sie jetzt wahrscheinlich schon verlobt.
    Sie ließ den Blick über die Uferböschung schweifen. An manchen Stellen schien der Fluss weniger tief als an anderen, was sie den hektischen Armbewegungen des Kapitäns in Richtung Leinreiter entnahm, der die Treidelpferde daraufhin zu einer langsameren Gangart anhielt. Plötzlich sah sie am rechten Mainufer ein Grüppchen mit Gestalten stehen, die seltsam zerlumpt auf sie wirkten. Als sie genauer hinschaute, erkannte sie, dass die Gesichter der ärmlich gekleideten Männer und Frauen mit eitrigen Beulen und roten Flecken überzogen waren. Erschrocken senkte sie die Augen, um sogleich wieder verstohlen zu den Aussätzigen hin zu spähen. Der Kapitän hatte ihren Blick bemerkt.
    »Das sind unsere ›guten Leute‹, die letzten, die wir hier noch haben«, erklärte er. »Leprakranke. Früher, als der Gutleuthof noch von Mönchen betrieben wurde, gab es hier jede Menge davon. Seit etwa hundert Jahren gehört der Hof jetzt dem Almosenkasten, einer Stiftung, die sich den Ärmsten der Armen annimmt, aber noch immer treibt es die Leprakranken aus dem ganzen Land hierher, weil sie hoffen, auf dem Gutleuthof von ihrem Leiden geheilt zu werden. Ja, ja, das ist schon schlimm! Aber so hat jeder sein Päckchen zu tragen - heute haben wir’s dafür eher mit der Schwindsucht …«
    Seine Miene hatte sich verdüstert. Friederike wagte nicht weiter nachzufragen, worauf er anspielte. Sicher ein ihm nahestehender Mensch, der an Tuberkulose erkrankt war. Im Bekanntenkreis ihrer Eltern hatte es auch schon einige Todesopfer gegeben. Besonders schlimm waren ihr immer die Fälle erschienen,
in denen kleine Kinder betroffen waren. Was für eine schreckliche Vorstellung, ein geliebtes Kind zu verlieren!
    Den Rest der Fahrt sprach kaum jemand mehr auf dem Schiff. Auch den anderen Reisenden schien es die Stimmung verdorben zu haben, was vielleicht ebenso an der aufkommenden Wolkenfront lag. Als nach einer Flussbiegung der hohe Turm des Höchster Schlosses in Sichtweite kam, dessen grauer Stein sich kaum von dem plötzlich verdüsterten Himmel abhob, und schließlich der Fähranleger mit der Mainmühle und dem Zolltor hinter der Festungsmauer vor ihr auftauchten, wurde es Friederike ganz beklommen ums Herz.
    Das war nun ihr Ziel - Höchst! Hier würde sie die nächsten Jahre verbringen. Und zwar nicht gerade unter einfachen Bedingungen, wenn man bedachte, dass sie unaufhörlich Komödie würde spielen müssen. Sie konnte schließlich nicht einfach eines Tages die Katze aus dem Sack lassen und allen verkünden, dass sie eigentlich eine Frau war - vorausgesetzt, sie würde in der »Porcellaine-Fabrique«, wie ihr Apothekerfreund aus der Sachsenhäuser Schenke sich so schön ausgedrückt hatte, überhaupt eine Anstellung bekommen. Nein, sollte nicht irgendwann etwas Unerwartetes geschehen, würde sie Friedrich Christian Rütgers’ weibliches Alter Ego für die nächsten Jahre erst einmal unter Verschluss halten müssen. Was hatte sie sich da bloß eingebrockt! Nie mehr Kleider tragen! Nie mehr mit jungen Männern schäkern! Nie mehr Schwäche zeigen!
    Eines der Treidelpferde stieß ein schrilles Wiehern aus, als der Leinreiter die Zügel wohl etwas zu hart anzog. Es half nichts, rief sie sich zur Besinnung: Sie hatte sich diese Suppe eingebrockt und musste sie jetzt auslöffeln, alles Weitere würde sich zeigen. Sie straffte die Schultern. Per Handschlag verabschiedete sie sich von dem Kapitän. Den übrigen Reisenden, die auf dem Schiff blieben, um nach Mainz weiterzufahren, nickte sie kurz zu. Mit federnden Schritten lief sie über den hölzernen Steg ans Ufer.

    Eine unbändige Freude durchströmte sie urplötzlich, kaum dass sie festen Boden unter den Füßen spürte. Sie war in Höchst, sie hatte ihr Ziel

Weitere Kostenlose Bücher