Die Porzellanmalerin
Genau, das würde sie tun. Und zwar sofort. Höchst konnte warten. Noch ein paar Stunden. Was gab es Besseres, als sich einen Rausch anzutrinken, wenn man seinen Liebeskummer vergessen - oder zumindest betäuben - wollte? Sie würde einen kleinen Rundgang durch die Stadt machen und
den Abend in Sachsenhausen ausklingen lassen. Schließlich war sie in Frankfurt, der Krönungs- und Messestadt. So einen Ort konnte man nicht einfach mit Nichtachtung strafen, so ein Ort gehörte erobert.
Und sei es nur für eine einzige Nacht.
4. KAPITEL
S ie hatte beschlossen, sich erst einmal ein Quartier zu suchen, bevor sie sich nach Sachsenhausen zu den Apfelweinschänken aufmachte. Von ihrem Vater, der als junger Mann mehrfach zur Messe in Frankfurt gewesen war, wusste sie, dass es in der Hasengasse einen Gasthof gab, in dem man preisgünstig Zimmer mieten konnte. Er hatte ihr auch von dem großen Brand erzählt, bei dem im Juni 1719 über vierhundert Familien ihr Zuhause verloren hatten und vierzehn Menschen gestorben waren. Ein betrunkener Italiener, der in der Bockgasse bei einem Bierwirt logiert hatte, war mit brennender Pfeife in seinem Bett eingeschlafen, hatten die Gendarmen später rekonstruiert. Auch die Hasengasse mit ihren Fachwerkbauten war vollkommen heruntergebrannt gewesen, und die Eltern des Zimmerwirts hatten nicht nur ihr Haus verloren, sondern auch den jüngsten Sohn, der in den Flammen umgekommen war. Da haben wir es mal wieder, dachte sie traurig, als sie sich die Geschichten vom »Christenbrand« in Erinnerung rief, immer diese Italiener …
Auf dem Römerberg waren die Bauern und Händler gerade dabei, ihre Stände vom Wochenmarkt abzubauen und die restlichen Waren auf Lastkarren zu hieven. In den Rinnsalen lagen vereinzelte Äpfel und Gemüseknollen, die aus den breiten Holzladen und Körben gefallen waren. Streunende Hunde wühlten mit ihren Schnauzen in den Abfallhaufen entlang der Fassaden, die darauf warteten, vom Stadtkehrer beseitigt zu werden. Ein paar Katzen machten sich am Fischstand zu schaffen,
dessen Betreiber so betrunken war, dass er gar nicht mitbekam, wie sie mit ihren Tatzen die Flusskrebse, Muscheln und Fische aus den Bottichen angelten und unter eifersüchtigem Fauchen in die nächste Ecke schleppten.
Friederike fragte eins der Marktweiber nach dem Weg in die Hasengasse.
»Geradeaus hoch bis zum Liebfrauenberg und dann rechts«, lautete die Antwort.
Und tatsächlich, kurz darauf stand sie vor dem Gasthof, von dem ihr Vater gesprochen hatte. Kaum hatte sie dem Hausherrn ihr Anliegen geschildert und dazu gesagt, dass sie erstens den Beruf des Porzellanmalers ausübe und zweitens aus Meißen komme, wurde ihr auch schon das Tor geöffnet und mit ausnehmender Herzlichkeit ein einfaches, aber freundliches Zimmer im zweiten Stock zugewiesen. Herr Peters hatte ihr ebenfalls erklärt, wie sie am besten nach Sachsenhausen gelange - »über die Brücke, am Deutschordenshaus vorbei und dann immer der Nase nach« - und welche Lokalitäten sie dort aufsuchen solle. Wenn sie echten Frankfurter Apfelwein probieren wolle, hatte er empfohlen, müsse sie nach den Schenken Ausschau halten, die ein Abzeichen mit einem grünen Busch oder Zweig an der Tür hängen hätten.
»Den Bierbrauern sind diese Straußwirtschaften zwar ein Dorn im Auge, aber jedermann weiß, dass es dort am lustigsten zugeht. Wenn irgendwo gelacht und gefeiert wird, dann da!«, hatte er mit einem Augenzwinkern nachgeschoben.
Eine halbe Stunde später hatte sie kaum den Kuhhirtenturm passiert, als sie auch schon lauten Gesang durch die Gassen schallen hörte. Sie nahm sich vor, die erstbeste Schenke zu betreten, an deren Eingangstür sie etwas Grünes entdecken würde, ein Glas des berühmten »Stöffsche« zu trinken und dann schnell wieder in ihren Gasthof zurückzukehren. Mittlerweile war die Dunkelheit vollends hereingebrochen, und sie spürte die Müdigkeit bleischwer auf ihren Knochen lasten. Aber am
meisten setzte ihr noch immer Maries Bemerkung über Giovannis Tändeleien mit anderen Frauen zu. Bestimmt hatte die Contessa mit ihrem » puttana «-Gezeter das Fräulein aus Weimar oder noch eine ganz andere Gespielin gemeint. Maries Italienisch war mit Sicherheit nicht so gut, als dass sie den Wortwechsel zwischen den beiden Streithähnen richtig verstanden haben konnte. Sie musste Köstritz mit irgendeinem anderen Ort verwechselt haben, oder die ganze Geschichte entsprach sowieso nicht der Wirklichkeit. Am wahrscheinlichsten
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