Die Porzellanmalerin
bereits wiedergesehen, denn Josefine hatte ihren Bruder und eine Handvoll gemeinsamer Freunde, zu denen wie selbstverständlich auch »Friedrich« zählte, zum Silvesterabend in ihre engen vier Wände eingeladen und aufs Köstlichste bewirtet.
Josefine war die plötzliche Schärfe in Friederikes Ton nicht entgangen. Sie hatte nur die Augenbrauen hochgezogen und war mit ihrem Geplänkel über den Bruder fortgefahren, der sich einfach nicht binden wolle und überhaupt in den Apfelweinschenken sein wahres Zuhause gefunden zu haben schien. Doch als Friederike sich kurze Zeit später für die Nacht verabschiedete, hatte auch sie - ganz im Gegensatz zu sonst - keine weiteren Vorwände hervorgebracht, das gemütliche Beisammensein am Küchentisch noch ein wenig zu verlängern.
I n den nächsten Tagen waren sie einander aus dem Weg gegangen, zum ersten Mal, seit Friederike bei Josefine Unterkunft gefunden hatte. Sie hatte sich vor lauter schlechter Laune noch mehr als sonst in ihre Arbeit gestürzt. Benckgraff hatte sie gefragt, ob sie sich nicht einmal daran versuchen wolle, einen Teller im Purpurdekor zu bemalen - nachdem er sie eines Abends in der Glasurmühle dabei erwischt hatte, wie sie ein von Johannes Zeschinger in der Ton-in-Ton-Technik gestaltetes rotes Streublumenmuster auf einer Kaffeekanne ausgiebig studierte. Sie hatte die Herausforderung angenommen, aber schon nach kurzer Zeit feststellen müssen, dass das »en camaieu« -Malen sie doch mehr Mühe und Nerven kostete als angenommen.
Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab, während sie den Pinsel in die Farbpalette mit dem schwärzlich-braunen Manganpurpur tunkte, ihn in feinen Strichen über den welligen Rand des Desserttellers gleiten und auf diese Weise die elegantesten Girlanden entstehen ließ. Von dem fahnenflüchtigen Kindsvater Josef Ringler, dem Erfinder des echten Purpurs, das aus Gold gewonnen wurde und viel leuchtender war als die von ihr zum Üben benutzte Ersatzfarbe, wanderten ihre Gedanken wieder einmal zu dem kaum ehrenvolleren Giovanni, bis sie für einen Augenblick ihren Hanauer Retter Richard Hollweg streiften, um schließlich bei ihren Eltern und ihrem Bruder Georg zu landen.
Sie vermisste ihre Familie. Besonders ihr Vater und die guten
Gespräche, die sie mit ihm immer geführt hatte, fehlten ihr. Aber auch mit der Mutter hätte sie gern einmal wieder geplaudert, und sogar Georg wäre ihr als Gesprächspartner jetzt durchaus recht gewesen. Bei aller Liebe zu Josefine: Ständig nur die alten Höchster Geschichten aufgewärmt zu bekommen war doch etwas dürftig. Josefine erlebte einfach zu wenig, um interessante Dinge erzählen zu können. Ähnlich war es mit Johannes und den anderen Kollegen, ja wahrscheinlich auch mit ihr selbst. Immer nur Höchst, immer nur die Arbeit war einfach nicht besonders aufregend. Wie anders war doch das Gesellschaftsleben in Meißen gewesen, die Salons ihrer Mutter, die Bibliothek ihres Vaters, die Treffen mit Charlotte …
Sie hatte Heimweh. Anders konnte man ihre melancholische Stimmung wohl nicht bezeichnen, gestand sie sich ein. Die Tatsache, dass der Frühling sich partout nicht blicken lassen wollte, trug ein Übriges dazu bei, jedes Gefühl von Fröhlichkeit und Hoffnung in ihr im Keim zu ersticken.
Besonders stark wurde ihr Heimweh, als sie eines Morgens von heftigen Unterleibsschmerzen geweckt wurde. Unter Krämpfen zog sie sich an und schleppte sich in die Fabrique. Zwei Mal wurde ihr auf dem kurzen Weg dorthin derart übel, dass sie glaubte, sich übergeben zu müssen. Den ganzen Vormittag pinselte sie lustlos an einer Schokoladenkanne in Form eines Eichenstrunks herum, die sie ohnehin für eine grobe Geschmacksverletzung hielt. Aber Benckgraff hatte sie gebeten, die Kanne so schnell wie möglich fertig zu stellen, da sie ein Auftragswerk sei. Den Namen des Auftraggebers hatte er ihr wohlweislich verschwiegen, aber alle wussten, dass es für die Nichte des Kurfürsten bestimmt war, ein aufgeblasenes ältliches Frauenzimmer, das bei seinen diversen Besuchen in der Manufaktur nicht nur mit seinen Verbindungen zu dem einflussreichen Onkel anzugeben pflegte, sondern noch dazu liebend gern einen Kunstverstand heraushängen ließ, der so gut wie jeder Grundlage entbehrte.
Hier ein Zweiglein, da ein Blättchen, und zum krönenden Abschluss die wollüstig hervorragende Eichel, die sie unter den feixenden Blicken ihrer Malerkollegen mit besonderer Inbrunst in ein zartes Hellgelb tauchte. Fertig
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