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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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Mensch hatte jemals irgendetwas gemerkt. Man musste einfach nur Hosen tragen und sich einen Männergang zulegen, schon war man ein Mann. Es war viel einfacher, als sie anfangs befürchtet hatte.
    »Anna weiß nicht, wo sie mit dem Kind hin soll, wenn es erst mal da ist. Sie kann es ja nicht den ganzen Tag allein zu Hause lassen. Die Putzmacherin, bei der sie arbeitet, hat sie zwar nicht auf die Straße gesetzt, aber dass sie das Kind mit zur Arbeit nimmt, das will die Dörflerin auf keinen Fall.«
    Josefine wischte sich die seifigen Hände an der Schürze ab und griff in ihre Tasche.
    »Hier ist übrigens dein Haarband, Friedrich!«
    Sie warf das helle Lederbändchen zu Friederike hinüber, die ganz ohne Spiegel und Kamm ihre Haare zu einem Zopf flocht und das Band darum befestigte.
    »Also habe ich mir überlegt«, setzte Josefine ihren Gedankengang fort und rubbelte so sehr an einem von Friederikes Hemden herum, dass der Schaum aufspritzte, »ich könnte doch
auf das Kind aufpassen. Gut brauchen kann ich das Geld allemal. Schließlich muss das Dach neu gedeckt werden. Das kann nicht so weitergehen, dass es bei dir in die Kammer reinregnet! Außerdem brauchen wir einen neuen Hasenstall, einen mit einem besseren Schloss, das die Katze nicht aufkriegt.«
    Dass Josefines graue Katze Semiramis mit ihren geschickten Pfoten immer wieder den Hasenstall öffnete und dann die Hasen durch den Garten jagte, bis sie fast einen Herzschlag erlitten, war in der Tat ein Problem. Genauso wie das durchlässige Dach, an das sich Friederike gezwungenermaßen schon fast gewöhnt hatte, obwohl es dazu führte, dass es in der Dachkammer ständig klammfeucht war.
    »Eine gute Idee«, stimmte sie der Freundin bei. »Meinen Segen hast du. So ein Kleinkind hier zu haben ist sicher auch für mich ganz spaßig, selbst wenn ich es wahrscheinlich nicht sehr oft zu Gesicht bekommen werde.«
    Sie nahm ihren Mantel vom Haken und verabschiedete sich von der Freundin. Sie verspürte Erleichterung über Josefines Pläne, hatte sie doch fest damit gerechnet, die neuen Dachschindeln und den Hasenstall selbst bezahlen zu müssen. Das hätte bedeutet, dass sie den Fechtunterricht nicht hätte fortführen können. Die einzige andere Sparmaßnahme, die zu ergreifen ihrer Ansicht nach möglich gewesen wäre, hätte aus einer drastischen Kürzung der Zutaten zu Josefines üppigen Mahlzeiten bestanden. Aber Kochen war nun einmal die absolute Leidenschaft ihrer Wirtin. Und auf den ebenfalls teuren Kaffee wollte wiederum sie selbst nicht verzichten. Annas Notlage war also für sie beide ein Glücksfall. Hoffentlich überlegte sie es sich nicht anders und nahm am Ende gar nichts, weil die Anna ihre Freundin war … Das Thema Geld hatte natürlich auch in ihrem Elternhaus immer mal auf der Tagesordnung gestanden. Aber doch auf einem ganz anderen Niveau. Man hatte überlegt, ob man einen Salon neu gestalten solle, sich die eigene Kutsche halten könne, oder ob man sich noch eine weitere Reise nach Dresden
leisten wolle. Dass auch das Brennholz oder die Nahrungsmittel Geld kosteten, war nie diskutiert worden. Zumindest bis zu dem Tag nicht, dachte sie grimmig, an dem plötzlich Per Hansen auf den Plan getreten und ihre Eltern zu der absurden Überzeugung gelangt waren, eine enge verwandtschaftliche Verbindung mit dem Hamburger Kaufmann könne das Allheilmittel schlechthin bedeuten.
    Schnell schob sie den Gedanken an ihre gerade noch durch Flucht vereitelte Zwangsverheiratung wieder zur Seite. Nun, da der schlimmste Teil des Tages - das Aufstehen - hinter ihr lag und die Aussicht bestand, dass ihre finanzielle Situation sich bald bessern würde, hatte sie eigentlich allen Grund, neuen Mut zu fassen. Fröhlich erwiderte sie den Gruß des Milchmädchens und legte voller Elan die wenigen Schritte zum alten Schloss zurück. Im Schlossgraben paddelte bereits ein Entenpaar herum. Die Schwäne standen am Ufer und steckten noch die Köpfe ins Gefieder. Eine einzelne kreischende Möwe hatte sich vom Mainufer zum Schlossgraben verirrt.
    Schon kam ihr ein riesiger Mann mit einer schwarzen Klappe über dem linken Auge entgegengeeilt. Die zu kurzen Ärmel und Hosenbeine, aus denen ernorme Pranken und Stiefel herausragten, erinnerten sie an die Kleidung eines Schuljungen, der zu schnell gewachsen war. Der Mann hatte den unnatürlichen watschelnden Gang einer Balletttänzerin. Seine fleischige Nase zeigte steil nach oben, und seine linke Wange zierte ein langer Schmiss. Mit den

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