Die Praktikantin
Pressemitteilungen hingelegt, aus denen ich Meldungen machen soll. Und für morgen früh habe ich |71| schon drei Termine. Den letzten habe ich von dem Kollegen mit der Fahne bekommen, ich glaube, der heißt Lenz. Der hat mir eine Einladung für eine Pressekonferenz um 9 Uhr gegeben und sich voll gefreut, dass ich da hingehe. Weißt du, was der gesagt hat: »Dann kann ich endlich mal ausschlafen …« Es geht um vier Chöre, die mit einem 24-Stunden-Konzert Geld für den Wiederaufbau des Tierheims sammeln. Das Katzenhaus ist nämlich vor vier Wochen abgebrannt.
An: Elisabeth Renner
Betreff: Re: Re: Re: Re: Re: Bin wieder da
Scheinen ja echte Workaholics zu sein, deine Kollegen! Viel Spaß bei den Muschis!
An: Martin Bosse
Betreff: Re: Re: Re: Re: Re: Re: Bin wieder da
Schwein. Bis später.
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|72| ELF
Eine Woche nachdem Elisabeth (ich sprach sie inzwischen mit dem Vornamen an, blieb aber natürlich beim Sie) ihre erste Geschichte veröffentlicht hatte, musste ich für drei Tage mit dem Vorstand der Sparkasse Wützen zum Sparkassentag nach München. Die Praktikantin hatte einen schönen Text über die katastrophalen Zustände im Tierheim geschrieben. Nach einem Brand mussten vierzig Katzen auf einer Fläche von siebzig Quadratmetern leben, Gitter an Gitter mit fast fünfundzwanzig Hunden. Die herzzerreißende Geschichte bescherte uns im Einzelverkauf ein Auflagenplus von fünf Prozent. Es ist immer das Gleiche. In Umfragen verdammen die Leser, auch unsere, die Berichterstattung von Unglücken, Verbrechen und Nachbarschaftsstreitereien, wünschen sich dafür mehr Politik und positive Nachrichten. Nur kaufen sie das Blatt leider nicht, wenn auf Seite eins in 52-Punkt eine Schlagzeile wie »Viel Platz für Katzen und Hunde« steht. Bei »Chaos im Tierheim« zahlen sie dagegen einen Euro für eine Zeitung, die nur zwanzig Seiten hat (wir mussten Papier sparen!). Good news are no news.
Nach ihrem zweiten Bericht über das Benefizkonzert, das immerhin 3500 Euro für den Neubau des abgebrannten Katzenhauses brachte, musste ich mir um Arbeit für Elisabeth keine Gedanken mehr machen. Die Kollegen setzten sie ein, wo sie nur konnten. Allen voran Peperdieck, der es stets verabscheut hatte, die Redaktionspantoffeln gegen Straßenschuhe zu tauschen und für eine Recherche die Redaktion zu verlassen. Das sei unjournalistisch, soll er einmal bei einer der von mir so gefürchteten, weil jeweils eine Viertelstunde dauernden Raucherpausen auf einem der Balkone gesagt haben. Alle Umstehenden hatten genickt.
|73| Elisabeth konnte es nur recht sein. »Ich hätte nie gedacht, dass ich hier so viel machen kann«, sagte sie, als ich sie am vierten Tag nach ihren ersten Eindrücken fragte. Obwohl ehrenamtlich tätig, schien die Praktikantin richtig glücklich bei uns zu sein. Sie strahlte fast mehr als die immer noch defekte Heizung im Konferenzraum und konnte nicht genug Aufgaben bekommen. Viel Arbeit für gar kein Geld, der ideale Reporter. Zehn davon, und ich würde bei meinen Tantiemen das Maximum erreichen.
Viel wichtiger aber war etwas anderes. Seit Elisabeth da war, ging ich gern in die Redaktion. Die mauligen Gesichter der Kollegen verschwanden hinter ihrer Fröhlichkeit, Rita Bolzens Gestöhne über die, Zitat, »unmenschliche Arbeitsbelastung« hinter ihrem Lachen. Das Klima hatte sich spürbar verändert, auch, weil ihr Pheromonparfüm den Geruch aus Männerschweiß und Alkohol übertünchte. Zumindest zeitweise.
»Elisabeth, ich bin erst Ende der Woche wieder da. Machen Sie weiter so«, sagte ich zu meiner Praktikantin deshalb, bevor ich losfuhr, und merkte gar nicht, dass sie die Einzige war, von der ich mich verabschiedete.
»Natürlich«, sagte sie, lachte kurz zu mir herüber und tippte dann schneller weiter, als Grainer um Punkt 5 Uhr seine Sachen zusammenpackte. Was schon etwas heißen sollte.
Elisabeth war nicht der einzige Grund, dass ich die Reise nach München mit einem komischen Gefühl antrat. Zum ersten Mal nach der Strategiekonferenz ließ ich das Blatt unter der Leitung meines Stellvertreters wieder für längere Zeit allein. Und das ausgerechnet in einer Phase, in der die Änderungen Erfolge zeigten und es mit der Auflage langsam nach oben ging.
Aber ich konnte die Einladung des Sparkassen-Chefs nicht ablehnen. Erstens machten die von ihm geschalteten Anzeigen knapp ein Fünftel der gesamten Werbung unseres Blattes aus, zweitens waren drei Übernachtungen in einer Suite im Hilton so
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