Die Praktikantin
eingehen, unter dessen Führung diese Zeitung eingestellt wurde«) reagieren wollte, war überraschenderweise ausgeblieben. Na gut, ich hatte ihn schon |63| in den Anfängen unterdrückt und Rita Bolzens Dauermurmeln schlicht überhört. Als ich den Konferenzraum verlassen wollte, hielt mich Grainer am Sakkoärmel fest.
»Herr Walder, haben Sie ein paar Minuten für mich?«
Eigentlich nicht, eigentlich wollte ich Elisabeth Renner erzählen, welcher wichtige Mann sie heute Nachmittag erwartete, mit welchen Tricks ich ihm ein paar exklusive Neuigkeiten entlocken würde und worauf sie dabei achten sollte. Aber Grainer war mein Stellvertreter. Und der Mann, dem ich den Job weggenommen hatte, auf den er dreißig Jahre gewartet hatte.
»Für Sie habe ich doch immer Zeit.«
»Gut.«
Grainer flüsterte fast. Ich setzte mich wieder auf den Ledersessel am Kopf des Tisches. Darauf hatte er gewartet. Er rückte mit seinem Stuhl so nah an mich heran, dass sein Kinn fast meine Nase berührte. Wahrscheinlich konnte er mich erst jetzt richtig sehen. Zum Glück hatte er kurz vorher Odol genommen. Bevor er wieder etwas sagte, legte mir mein gut fünfzehn Jahre älterer Stellvertreter väterlich den Arm mit den falschen schwarzen Gucci-Manschetten auf die Schulter.
»Als Erstes finde ich, dass sich der Chefredakteur und sein Stellvertreter duzen sollten, um den besonderen Zusammenhalt der Führungskräfte gegenüber den Kollegen zu demonstrieren. Da ich der Ältere bin, möchte ich Ihnen das Du anbieten. Ich heiße Herbert.«
Ich hatte meinen Namen vergessen.
»Na gut, Herbert. Du weißt ja, wie ich heiße.« 5:0 für ihn. Eigentlich war das Spiel zu Ende.
»Ich wollte dir nur sagen, lieber Johann, dass ich die meisten deiner Ideen schon früher vorgeschlagen habe. Doch der alte Chef hat nur seinen Ruhestand im Kopf gehabt, und die Kollegen sind nun mal stinkend faul oder können nicht journalistisch denken.«
Er selbst sei der Einzige, der schon mehrfach Preise mit seinen |64| Geschichten gewonnen habe. (Zum Beispiel einen vom Tierschutzverein für »Die beste Reportage des Jahres 1996/Katego rie Hauskatzen«. In der Jury hatte unter anderen seine Schwester gesessen, die Gründerin des Vereins.) Nur er wisse, wie man eine erfolgreiche Zeitung macht: »Es ist eine Schande, Johann, dass ich mich bisher mit meinen Konzepten nicht durchsetzen konnte. Es wäre nie so weit gekommen, wie es jetzt gekommen ist. Schließlich hatten wir mal eine Auflage von mehr als 25 000.«
Damals gab es noch zwei Fernsehprogramme.
»Aber vor einer Sache muss ich dich warnen, Johann.«
Er nannte meinen Namen so oft, wie Rita Bolzen aus dem Betriebsverfassungsgesetz zitierte.
»Nämlich?«
»Wir müssen aufpassen, dass Batz mit seiner CDU-Propaganda und diesen ganzen Wirtschaftsthemen nicht mehr Platz in der Zeitung bekommt. Das ist gefährlich in einer Stadt, in der Friedrich Engels einmal zur Kur war und die seit Jahren von einer grün-roten Mehrheit regiert wird. Sehr gefährlich, Johann. Der Bürgermeister hat …«
»Was hat der Bürgermeister?«
»Der Bürgermeister hat auch schon kritisiert, dass wir uns von den Schwarzen instrumentalisieren lassen. Der Bürgermeister hat …«
Es reichte.
»Weißt du, was der Bürgermeister hat?«, sagte ich so laut, dass er den Abstand zwischen uns wieder auf eine Gucci-Gürtellänge vergrößerte. »Er hat sei Jahren kein Abonnement der einzigen Lokalzeitung, die in seiner Stadt erscheint. Weil er die Wützener Zeitung langweilig, inaktuell und stupide findet. Das macht mir Sorgen, nicht irgendein CDU-Text von Batz.«
Grainer zuckte. War ich zu hart gewesen? Ganz so hatte sich der Bürgermeister bei unserem ersten gemeinsamen Treffen nicht geäußert. Natürlich lese er die
Wützener Zeitung
, hatte er gesagt, was bliebe ihm anderes übrig. Aber da er die Wünzige |65| täglich auf seinem Schreibtisch im Büro liegen habe, müsse er sie nicht auch noch privat abonnieren. Dafür sei sie einfach nicht interessant genug.
»Das dazu.«
Grainer sagte nichts mehr. Er war schon sauer gewesen, dass ich mich ohne ihn mit dem Bürgermeister getroffen hatte. Normalerweise ließ er keinen anderen aus der Redaktion an ihn heran. Bernhard Bluhm (GAL) war Stellvertreter-, nicht Chefsache. Zumindest in der Vergangenheit. Mein Vorgänger hatte den Mann im Rathaus geschnitten, weil der seinen einzigen Sohn angebaggert hatte. Die Welt war klein, vor allem in Wützen.
Ich musste das Thema wechseln.
»Herr
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