Die Praktikantin
Woche Segeltour von ihm bekam. »Du und deine Chefs«, sagte Martin nur, als ich ihm davon erzählte. Und als eines Abends mein Handy klingelte, nahm er es aus meiner Bordtasche, hielt mir die Hand vor den Mund, drückte auf die grüne Taste und meldete sich nur mit »Hallo, wer ist da?«. Auf der anderen Seite wurde sofort aufgelegt. »Und ich dachte immer, Kommunikation sei bei Führungskräften das Wichtigste«, sagte Martin, lachte laut und küsste mich. »Keine Angst, mein Schatz. Wenn es der Walder war, meldet er sich bestimmt bald wieder.«
Bis zu unserer Ankunft in Port de Soller im Nordwesten Mallorcas hörte ich nichts mehr von ihm. Dort mussten wir das Schiff an Martins älteren Bruder übergeben, bekamen dafür von ihm aber die Schlüssel für die Finca der Familie in den Bergen von Fontalux. Wir hatten beide schon lange dorthin fahren wollen, doch immer war das Haus belegt gewesen. Jetzt hatten wir es eine gute Woche für uns. Die Finca lag einen Kilometer von der Hauptstraße entfernt, am Ende eines Weges, der für den Ford Fiesta der Bosses fast zu eng war.
Sie war aus diesen großen, wahrscheinlich typisch mallorquinischen Steinen gebaut. Im Garten blühten mehr Pflanzen, als ich sie während meines Schulpraktikums bei
Blume 2000
in der Wützener Innenstadt gesehen hatte. Das Wasser des Pools war herrlich warm. Wir schwammen jeden Abend nackt, tranken spanischen Weißwein, den es in einem Lädchen im Dorf für 2,45 Euro die Flasche gab und von dem Martin gleich vier Kisten gekauft hatte. Wenn wir in den Bademänteln seiner Eltern bei Kerzenlicht auf der Terrasse saßen und von den nahen Bergen nur noch Umrisse erkennen konnten, kam aus irgendeinem Busch Esmeralda. Die Katze, deren Fell immer aussah, wie ich mir Walders Haare ohne Gel vorstellte, war Martins Familie vor vier Jahren zugelaufen. Sie wusste, dass jeden Abend eine Untertasse |143| mit Futter auf sie wartete. Nachdem sie das gefressen hatte, strich sie um uns herum und bekam hin und wieder ein Stück Käse oder Mettwurst.
Leider war Esmeraldas Lieblingsplatz genau vor unserem Schlafzimmer im ersten Stock. Gegen Mitternacht sprang die Katze von der Fensterbank im Erdgeschoss auf den Dachvorsprung und weiter auf den Balkon. Sie legte sich direkt vor das halb geöffnete Fenster, den Körper an der kühlen Wand, die Nase ein bisschen in den Farnen, und fing an zu miauen. Immer mindestens eine Viertelstunde, meist länger.
In dieser Nacht, der viertletzten vor unserer Abreise, hörte das Gejammer nicht auf. Martin war längst eingeschlafen. Er wohnte in Warschau an einer Hauptverkehrsstraße und empfand Esmeralda und die Geräusche aus der mallorquinischen Dunkelheit als »himmlische Ruhe«. Ich dagegen war seit meiner Kindheit in Wützen absolute Stille gewöhnt. Schon das kleinste Geräusch konnte mich um den Schlaf bringen.
Esmeralda nervte. Ich überlegte kurz, Martin zu wecken und ihn zu bitten, sie zu verscheuchen. Doch er schlief zu fest. Als die Katze nach mehr als einer schlaflosen Stunde immer lauter wurde, hielt ich es nicht mehr aus. Ich küsste Martin auf die Stirn, nahm mein Kissen und zog ins kleine Schlafzimmer im Erdgeschoss.
Das war das Ende unseres Urlaubs und das Ende einer Liebe, von der ich gedacht hatte, sie sei etwas Großes.
Im kleinen Schlafzimmer stand nur ein altes Holzbett. Ich schlug die Decke mit dem geschmacklosen Sternenmotiv auf und schob das Kissen zwischen mich und das Kopfteil. Ich machte die Lampe auf dem Nachttisch aus und gleich wieder an. Wenn ich so spät wach bin, kann ich nur schwer wieder einschlafen. Ich musste lesen. In der ersten Schublade des Tisches fand ich, wie in einem Hotel, die Bibel, in der zweiten zwei alte Ausgaben des
Manager-Magazins
. In der letzten lag ein Roman von Martins Lieblingsautor Haruki Murakami. Ich hatte mich |144| immer geweigert, etwas von ihm zu lesen, wahrscheinlich, weil Martin es mir empfohlen hatte. Jetzt hatte ich keine Wahl. Das Buch hieß »Gefährliche Geliebte« und war, wenn ich mich richtig erinnerte, der Grund dafür gewesen, dass das Literarische Quartett zerbrochen war. Hellmuth Karasek und Marcel Reich-Ranicki hatten sich so lange an den Sexszenen erfreut, dass die einzige Frau, wie hieß sie noch?, die Runde verlassen hatte. Hoffentlich ließ Murakami mich schnell einschlafen.
Es schien so. Schon auf Seite zwölf hatte ich Mühe, das schmale Büchlein gerade vor den Augen zu halten. Es war kurz vor halb zwei. Auf Seite 14 klappten meine Lider zum
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