Die Praktikantin
stupste an mein Ohr. »Okay?«
Zum ersten Mal klang sie wie der Chef. Was sollte ich dazu schon sagen? Vielleicht das: »Aber nur, wenn Sie mich endlich duzen …«
Sie lachte.
»Ich überlege es mir, HERR WALDER.«
Ich hatte verstanden.
In der Redaktion wunderte sich niemand, dass Elisabeth wieder da war. Angesichts von durchschnittlich sechs Überstunden, |148| die jeder der ach so fleißigen Redakteure seit Beginn der Ferienzeit gemacht hatte, waren insbesondere Peperdieck und Batz dankbar für die Rückkehr der Praktikantin. Batz gab ihr am ersten Tag drei Aufträge, um dann gegen 2 Uhr zu verschwinden. »Ich bummel mal ab.«
Peperdieck kopierte Elisabeth gleich seinen gesamten Terminkalender für die kommende Woche: »Dann habe ich Zeit, mich endlich mal um meine großen Geschichten zu kümmern«, sagte er.
Nur: um welche?
Elisabeth war das egal. Sie hatte nicht einmal nach einem Zeilenhonorar gefragt. Sie ging morgens um 9 Uhr zur Pressekonferenz des Familienbundes, war gegen Mittag bei der FDP, fuhr am Nachmittag mit einer Abgeordneten zur Landtagssitzung nach Düsseldorf. Sie schrieb in einer Woche mehr als Lenz in einem Monat.
Als ich sie drei Tage später zwischen zwei Terminen fragte, ob das nicht zu viel sei, was sie da alles mache, sah sie nur kurz hoch: »Ich schaffe noch mehr, Herr Walder.« Ihr Kopf war so rot wie das Logo der Boulevardzeitung, hinter der Peperdieck wie aufs Stichwort hervorlugte.
»Dann kannst du morgen früh ja auch ins Rathaus gehen. Der Bürgermeister will irgendein neues Sporthallenkonzept vorstellen.«
»Wann muss ich denn im Rathaus sein, Kalle?«
Mit den Redakteuren duzte sie sich jetzt.
»Um 8. Nimm eine Kamera mit, die Bolzen kann morgen früh nicht. Hat irgendwas bei ver.di.«
Ich war froh, dass die Fotografin zwischen ihrer Seminar-Urlaubs-Kombi und der nächsten Betriebsrätetagung wenigstens anderthalb Monate am Stück in der Redaktion war – wobei sie sich davon zwei halbe Tage pro Woche für »besondere Tätigkeiten« frei nahm.
»Ich denke daran«, sagte Elisabeth. »Oh, ich muss schon wieder |149| los.« Vielleicht war sie doch eine uneheliche Tochter von Egon Erwin Kisch, dem rasenden Reporter. Auf jeden Fall brach sie so schnell auf, dass sie die Kamera in ihrem Schreibtisch vergaß. Ein folgenschwerer Fehler.
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|150| DREIUNDZWANZIG
Ich weiß nicht mehr genau, was ich geträumt hatte, aber Elisabeth kam auf jeden Fall darin vor. Wie fast in allen meinen Träumen jener Nächte. Deshalb war ich auch nicht sonderlich überrascht, als das Telefon klingelte und ich am anderen Ende ihre Stimme hörte. Dass es erst 7 Uhr 30 und damit für meine Verhältnisse mitten in der Nacht war, registrierte ich erst viel später.
»Ja, bitte?«
»Herr Walder, ich bin es, Elisabeth. Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie so früh störe …«
Träumte ich noch? Seit der Sache im roten Blitz hatten wir privat nicht wieder miteinander telefoniert. Weder morgens noch abends. Das einzige Gespräch war jenes vom Flughafen Mallorca gewesen. Ich wusste nicht, ob sie meine SMS gelesen hatte. Ich wusste auch nicht, warum sie sich von ihrem Freund getrennt hatte. Im Büro hatte ich mich nicht danach zu fragen getraut.
»Herr Walder, Sie müssen dringend in die Redaktion kommen. Hier …«
Sie schien sich für einen Moment von ihrem Handy abgewandt zu haben, um mit jemand anderem zu sprechen.
»Entschuldigung, die Polizei kommt gerade.«
Jetzt sah ich zum ersten Mal auf die Uhr.
»Elisabeth, wieso …«
»Sie müssen so schnell wie möglich kommen, Herr Walder. Im Moment bin ich hier allein. Meinen Vater habe ich auch schon angerufen. Der Krankenwagen kommt gleich.«
»Elisabeth, nun sagen Sie doch endlich, was los ist.«
Ich war vor Schreck beim Aufstehen mit dem linken Schienbein |151| gegen den Pfosten des Futons geknallt. Das gab einen schönen blauen Fleck.
»Herr Walder, vor der Redaktion ist ein Baby ausgesetzt worden.«
Dreißig Minuten später war ich da. Elisabeth saß mit zwei Rote-Kreuz-Helfern, drei Polizisten und einer Putzfrau (was machte die hier?) im Konferenzraum. Ich überlegte, ob ich mich vorstellen sollte, nickte dann aber allen Anwesenden nur kurz zu.
Auf dem Tisch, auf dem sonst Layoutbögen und halbfertige Zeitungsseiten lagen, stand ein blauer Tragekorb, aus dem kleine, graue Gurte baumelten. Ich beugte mich darüber und sah ein winziges Baby. Es war in ein weißes Tuch gehüllt, unnatürlich gelb im Gesicht und konnte kaum älter
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