Die Praktikantin
ersten Mal länger zu, auf Seite 18 war ich kurz davor, das Buch wegzulegen. Dann kam Seite 19.
Erst hielt ich das weiße, quadratische Stück Papier, das leicht im Buchrücken feststeckte, für ein Lesezeichen. Dann sah ich, dass es ein Polaroidfoto war, gemacht am 10. Mai 2008. Ich zog es heraus und drehte es um. Auf dem Bild war eine nackte Frau mit weit gespreizten Beinen zu sehen. Sie beugte sich nach vorn und hielt etwas in der rechten Hand, das ich nicht erkennen konnte. Ich fand die Pose widerlich, warf das Bild auf die Bettdecke, drehte das Buch auf den Rücken und schüttelte es. Drei weitere Fotos fielen raus, immer mit der gleichen Frau. Einmal drückte sie ihre großen Brüste zusammen, einmal zog sie ihre Schamlippen weit auseinander. Auf dem letzten Bild waren ihre Augen ganz groß. Ihr Mund umschloss die Spitze eines männlichen Körperteils, das ich unter Hunderttausenden erkannt hätte.
Eine halbe Minute später hatte ich die Tür zum Balkon aufgerissen, Esmeralda verscheucht, Martin die Decke weg- und den Schrank aufgerissen.
»Schatz, was ist …«
Weiter kam das Schwein nicht. Ich knallte ihm mit voller Wucht eine auf die rechte Wange, boxte ihn in den Bauch und schrie: »Halt bloß dein Maul, du perverser Betrüger.«
»Elisabeth, was …«
|145| Ich schmiss ihm die Polaroids an den Kopf, zog meinen Koffer unter dem Bett hervor und stopfte ihn mit allem aus meiner Schrankhälfte voll.
»Schatz, das kann ich dir erklären, das war …«
Ich wollte es nicht hören. Ich schlug den Koffer zu, zwängte mich in mein rosa Kleid, warf einen vertrockneten Blumenstrauß von der Kommode aufs Bett.
»Du bist so ein widerliches altes Schwein. Du kannst mich mal.«
»Elisabeth, das war doch nichts, das hat doch nichts mit uns zu tun. Ich war betrunken, und da haben Beatrice und ich Fotos …«
Meine Ohren fingen an zu sausen. Statt Martins Stimme hörte ich ein Pfeifen. Ich war wie ein Wasserkessel, der dringend von der Herdplatte genommen werden musste. Beatrice? So hieß die Assistentin, die er aus Deutschland mit nach Polen genommen hatte. Wir waren in Warschau einmal zusammen ausgewesen. Die beiden arbeiteten ebenso lange zusammen, wie Martin und ich uns kannten. Sie hatte sehr große Brüste.
Das Pfeifen war nicht mehr zu ertragen. Ich musste Dampf ablassen. Ich schmiss die schöne Porzellanvase von der Kommode, nahm Martins I-Mac, holte kurz aus und warf ihn durch das Fenster genau in den Pool. Martin war auf das Bett gesprungen. Er redete und stammelte und entschuldigte sich. Ich hörte nichts außer dem langen, hohen Ton, griff den Autoschlüssel und war plötzlich mitten in der Nacht ganz allein auf irgendeiner dunklen Landstraße zwischen Fontalux, Soller und Palma de Mallorca.
Der erste Flug nach Deutschland ging um 6 Uhr 40. Er war ausgebucht. Ich bekam erst für 15 Uhr ein Ticket nach Köln. Es kostete 120 Euro. Ich ließ den Wagen im Parkhaus stehen und legte mich bis zum Check-in auf dem Vorplatz in die Sonne. Ich überlegte, wen ich zuerst anrufen sollte: Sonja, meine Mutter, Oma, meinen Bruder? Er würde sofort nach Mallorca kommen, |146| um Martin im Pool zu ertränken. Bei Sonja ging nur die Mailbox ran, Mama und Oma hatten nicht einmal eine.
Ich fühlte mich einsamer als Esmeralda. Um kurz nach 14 Uhr wählte ich die Nummer von Walder.
[ Menü ]
|147| ZWEIUNDZWANZIG
Als ich am nächsten Morgen in die Redaktion kam, war sie schon da. Sie saß an dem Schreibtisch neben meinem, auf Grainers Platz, der noch zwei Tage Urlaub hatte, und sah gar nicht aus wie eine, die gerade ihren Freund verlassen und ihre Ferien abgebrochen hatte.
»Guten Morgen, Herr Walder.«
Wie sie strahlte. Aber wahrscheinlich wirkten ihre ebenmäßigen, weißen Zähne nur noch mehr, weil ihre Haut fast so braun war wie ihre Augen. Sie trug ein enges T-Shirt mit der Aufschrift »good time« und eine Jeans, die aussah, als wäre sie auf die Beine gemalt. Sie hatte abgenommen. Dünn war sie immer schon gewesen, sie hatte einmal etwas von zweiundfünfzig Kilo bei einem Meter vierundsiebzig erzählt. Jetzt waren es vielleicht noch achtundvierzig.
»Hallo, Elisabeth. Wie geht es Ihnen?«
»Herr Walder«, sie winkte mich zu ihrem Mund herunter und sprach so leise, dass nur ich sie verstehen konnte. »Ich möchte nicht, dass Sie den anderen erzählen, warum ich wieder hier bin. Ich möchte über das, was passiert ist, nicht sprechen. Nie. Ich will jetzt arbeiten. Viel arbeiten. Und viel lernen.« Ihre Nase
Weitere Kostenlose Bücher