Die Praktikantin
in der freien Marktwirtschaft nun mal.
»Herr Walder?«
Rita Bolzen. Auch das noch. Sie war erst kurz vor dem offenen Interview aus dem Urlaub zurückgekommen und hatte den nächsten schon beantragt.
»Ja?«
Ich war zu der Zeit unausstehlich, kurz angebunden, ein echter Kotzbrocken. Elisabeth hatte auf keine meiner SMS, es mögen |137| mehr als zehn gewesen sein, geantwortet. Ich hatte von »Entschuldigen Sie bitte mein nicht entschuldbares Verhalten« über »Ich werde alles tun, um diese für Sie sicherlich sehr unangenehmen Minuten wiedergutzumachen« bis zu »Geben Sie mir die Chance, bei Ihnen um Verzeihung zu bitten und mich erkenntlich zu zeigen« alle Formulierungen aufgebraucht, die mir in so einem Fall einfielen. Umsonst. Es tat weh, nichts mehr von ihr zu hören, und es war meine Schuld. Büßen mussten dafür andere. Zum Beispiel die Bolzen.
»Haben Sie schon einmal mit Professor Michelsen darüber gesprochen, ob wir den Investitionsetat aufstocken können, um die neue Kamera zu kaufen?«, fragte sie.
Als ob sich der Alte dafür interessieren würde.
»Liebe Frau Bolzen«, ich schaute nicht mal vom Bildschirm hoch, auf dem ich gerade die dritte, kostenlose Geschichte von Meik T. C. redigierte, »wir werden uns weder in diesem noch im nächsten Jahr eine Fotoausrüstung für 8800 Euro leisten können. Es sei denn, ich kann eine Redakteursstelle streichen. Wenn der Betriebsrat das vorschlagen möchte, bitte …«
Das hatte die Bolzen nicht von mir erwartet. Sie guckte, als hätte ich gerade zugegeben, derjenige zu sein, der nachts heimlich an den Einstellungen ihrer Kamera werkelt, um ihr am nächsten Tag unscharfe Bilder vorzuwerfen.
»Ich habe verstanden«, sagte sie. »Ich hatte Sie anders eingeschätzt.«
Ich schämte mich. Aber das Einzige, was ich sagte, war: »Mhm.« Toller Chef. Batz reckte mir von seinem Schreibtisch aus den Daumen der rechten Hand entgegen und grinste hämisch. Wenn ich jetzt noch Grainers Tierschutzpreis, einen stilisierten Katzenschwanz, aus dem Fenster geschmissen hätte, hätte er mich wahrscheinlich zum CDU-Ehrenmitglied ernannt.
Nachdem ich zwei Wochen nichts von Elisabeth gehört hatte, hielt ich es nicht mehr aus. Ich trank abends ein Glas Wein, dann |138| noch zwei und tippte zitternd ihre Handynummer in das neue Festnetztelefon mit integriertem Faxgerät. Das hatte mir Frau van Daggelsen eines Abends mit der Bemerkung ins Apartment gebracht, sie brauche es nicht mehr und ich könne damit meiner Freundin in München auch einmal ein Fax schicken. »Sie haben doch eine Freundin in München, oder?«
Ich antwortete nicht.
Es war kurz nach 21 Uhr, wahrscheinlich lag sie, lagen sie in irgendeinem idyllischen Hafen an der Pier, beobachteten den Sonnenuntergang und würden das Klingeln gar nicht hören. Hoffentlich doch. Es tutete, ein Mal, zwei Mal, drei Mal. Dann hörte ich Atmen vom anderen Ende der Welt. Und ein barsches: »Hallo, wer ist da?«
Ich legte sofort auf. Das war nicht ihre Stimme. Das war die Stimme eines Mannes. Hoffentlich war meine Nummer nicht zu sehen. Als das Telefon 20 Minuten später bei mir klingelte, ging ich nicht ran. Vielleicht war meine Nummer übertragen worden, vielleicht versuchte ihr Freund herauszubekommen, wer angerufen hatte. Ich wollte mich nicht verraten, und ich wollte Elisabeth nicht in Schwierigkeiten bringen. Ich wollte nur noch Wein.
An den nächsten Abenden gewöhnte ich mir an, das Telefon zu ignorieren. Man konnte bei dem alten Gerät nicht sehen, wer anrief. Sicherheitshalber schaltete ich auch den Anrufbeantworter aus und stellte auf Faxbetrieb um, wenn ich nicht da war. Jeden Anrufer empfing so nach drei Freizeichen ein schrilles Signal, die Hundepfeife der modernen Kommunikation. Meine Eltern schickten mir als Einzige ein Fax und fragten, ob die Maschine kaputt sei. Ich rief zurück, um das Gegenteil zu beweisen, und erzählte irgendeine Geschichte von irgendeinem Stromausfall, der den Apparat durcheinandergebracht hätte. Von Elisabeth erzählte ich nichts.
Seit ich meine private Erreichbarkeit auf die Übermittlung von A4-Papieren reduziert hatte, erhöhte sich die Anzahl der |139| Anrufe in der Redaktion drastisch. (Journalisten lieben diese Wortkombination: Strompreise drastisch erhöht, Terrorgefahr drastisch erhöht, Auflage drastisch erhöht. Und, natürlich, die absolute Nummer eins: Steuern drastisch erhöht. Oder gesenkt, egal. Alles, was drastisch ist, verkauft sich gut, glauben wir.)
Statt mich wie
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