Die Praktikantin
Ahnung, wie wir wieder hierhin gekommen waren.
»Ich will Sie nicht länger stören, Herr Struck. Wir sehen uns bestimmt bald mal wieder.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
Ich wollte fragen, wieso, machte es aber nicht. »Also, einen schönen Tag noch. Und vielen Dank.«
»Herr Walder?« Er ging hinter dem Jägerzaun einen Schritt auf mich zu. »Machen Sie nicht den gleichen Fehler wie Herbert.«
»Was? Wie meinen Sie das?«
»Das wissen Sie schon. Glauben Sie nicht, dass Sie nicht beobachtet werden, auch ohne Videokameras. Was der Chef macht, sehen viele Augen. Denken Sie daran.«
Er meinte Elisabeth. Wen sonst. Meine Praktikantin, die zwar nicht mehr meine Praktikantin war, aber immer noch beziehungsweise wieder eine meiner Untergebenen, dazu noch meine engste Vertraute in der Redaktion, in der Stadt. Das hatten natürlich längst alle gemerkt, Struck eingeschlossen. Ich musste sie loswerden, zumindest beruflich, je schneller, desto besser. Zu meinem eigenen Schutz.
Sie hatte die weißen Collegeschuhe ausgezogen, ihre nackten Füße lagen auf dem schwarzen Armaturenbrett. Aus dem offenen Fenster hörte ich »Can’t help falling in love«. Elvis, auch das noch. Ich ging um das Auto herum, sie nahm die Füße herunter, öffnete mir die Beifahrertür.
»Und, Herr Walder?«
Ja, und? Sollte ich von dem Gespräch mit Struck erzählen? Lieber nicht. Jetzt ging es darum, Elisabeth das zu geben, worauf sie die ganze Zeit gewartet und was sie sich wirklich verdient hatte. Ich machte die Musik leiser und drehte mich zu ihr.
[ Menü ]
|227| ZWEIUNDDREISSIG
Erst als ich Walder an der Straßenecke vor dem Haus abgesetzt hatte, in dem sein Vorgänger lebte, hatte ich nach den Tagen voller Hektik, Aufregung und Empörung endlich mal wieder ein paar Minuten für mich. Ich legte eine CD in den Player, die ein Ex-Freund für mich zusammengestellt hatte, schob den Sitz nach hinten, zog die Schuhe aus und streckte die Füße auf das Armaturenbrett. Ich sah Walder hinter einem Gartenzaun verschwinden und schloss die Augen. Was war das für eine seltsame, unglaubliche Woche gewesen: das Ferienhaus auf Mallorca, Esmeralda, die Fotos dieser Büroschlampe, die Rückkehr nach Wützen, das kleine Baby vor der Redaktion, die ganzen TV- und Radioteams, der Sambuca-ohne-Kaffeebohnen-Abend mit Walder, der Besuch bei Hanna Giese, die Fotos von Grainer im Rundblick, Walders großer Auftritt, seine E-Mails, sein Angebot, seine Blicke. Er hatte sehr männlich gewirkt in den Stunden der Entscheidung, trotz seiner kleinen Hände, die er altherrenmäßig auf dem Rücken verschränkt hielt. So entschlossen, so stark und selbstsicher hatte ich ihn noch nicht erlebt. Als er da so stand, mindestens einen Kopf größer als alle anderen, mit seinen breiten Schultern und den dunklen, nach hinten gegelten Haaren, konnte ich erstmals verstehen, dass Sonja, also eine Frau, ihn attraktiv fand. Walder war ein stattlicher Mann, nur war mir das bisher egal gewesen.
Und jetzt? Jetzt lag ich hier in meinem Auto, Elton John sang »I’m still standing«, und wartete auf meinen Chefredakteur. Ich hatte die eine, seine liebe E-Mail in meine Handtasche gesteckt. Ich holte sie raus, las sie einmal, zweimal und immer wieder. Ja, ich war plötzlich berührt, von seinen Worten, seinem Verhalten, seinem Auftreten. Hinter Herrn Walder, meinem Vorgesetzten, |228| gab es eben doch Johann, einen Menschen, der mir nahe gekommen war, ohne dass ich es richtig gemerkt hatte. Er hatte es geschafft, sich mir vertraut zu machen. Und wie heißt es im
Kleinen Prinzen
von Saint-Exupéry: Wenn du dir jemanden vertraut gemacht hast, bist du für ihn verantwortlich. Ob ich ihm das sagen würde, sagen könnte, sagen müsste? Ob er verstehen würde, dass ich das diesmal nicht rein beruflich, sondern anders meinen würde?
Sonja hatte mir kurz nach ihrer Abfahrt aus Wützen eine SMS geschickt: »Danke für die schöne Zeit. Ich mache mir keine Sorgen mehr um dich, Engelchen. Hast du eigentlich gemerkt, dass wir überhaupt nicht über Martin gesprochen haben? Die Sache hast du zum Glück schnell hinter dich gebracht. Jetzt hast du nur noch ein Problem: Du siehst den Wald(er) vor lauter Bäumen nicht. Sei gedrückt, deine S.«
Sah ich den Walder vor lauter Bäumen nicht? Und wer oder was waren in diesem Fall die Bäume? Meine Vorstellungen von der strengen Trennung zwischen Beruf und Privatleben, mein Pflichtbewusstsein, meine Autoritätsgläubigkeit oder doch mein Egoismus und
Weitere Kostenlose Bücher