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Die Priesterin von Avalon

Die Priesterin von Avalon

Titel: Die Priesterin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley , Diana L. Paxson
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Struktur seines Gesichts noch schöner.
    Er musste schon seit einigen Stunden tot sein.
    War das der Wind, den ich in der Dämmerung spürte, oder streifte deine Seele vorbei, mein Liebling? , fragte ich mich dumpf. Konntest du nicht so lange bleiben, um mir Lebewohl zu sagen?
    Allmählich wurde mir bewusst, dass der Beamte mit mir redete.
    »Der Befehl kam vom Kaiser, aus Sirmium. Der junge Caesar sollte vom Magistrat des Verrats überführt werden. Für Beweise war gesorgt. Der Kaiser… hat nicht festgelegt, wie die Strafe ausfallen sollte, doch wir hatten Angst, ihm eine Waffe zu überlassen, kannten wir doch seine Taten in der Schlacht. Er bat um den Tod, der Sokrates gewährt worden war. Ein christlicher Priester hat ihm die Letzte Ölung gespendet, ehe er starb…«
    Ich weiß nicht, was der Mann auf meinem Gesicht sah, doch er trat erschrocken zurück. Ich wollte wie eine Mänade wüten, wollte die Männer, die meinen Crispus verurteilt hatten, erschlagen lassen. Aber sie traf keine Schuld.
    »Was sollen wir jetzt tun, Augusta? Es gab keine weiteren Befehle…«
    »Gibt es einen Bildhauer in der Stadt? Er soll sein Wachs mitbringen und die Totenmaske anfertigen. Derweil lasst einen Scheiterhaufen aufschichten.«
    Ich hätte die Leiche am liebsten mitgenommen, um sie Konstantin vor die Füße zu werfen, doch zu dieser Jahreszeit war es unmöglich. Entsetzen lähmte noch immer die meisten meiner Empfindungen, doch ein paar Gedanken kamen mir in den Sinn. Ich würde Crispus' Bildnis seinem Vater vorhalten und Rache üben an Konstantin selbst oder jenen, die ihn dazu getrieben hatten, sein eigenes Kind zu vernichten.
    Nachdem der Beamte hinausgegangen war, um meinen Bitten nachzukommen, schickte ich alle hinaus, denn ich wollte mit meinem Toten allein sein. Der glühende Funke des Kummers loderte schließlich in brausenden Flammen auf.
    Im Stillen wütete ich gegen meine Absage an die Macht. Ich hatte Gott angerufen, doch jetzt begriff ich das große Geheimnis, dass nämlich jenseits meiner eigenen Stärke nichts existierte. Wie konnte ich an einen Gott glauben, der zuließ, dass Konstantin so etwas tat? Mir schien, die Menschen hatten ihren männlichen Gott erfunden, damit er sie im Dunkeln tröstete, wenn die Mutter nicht da war, um ihnen die Hand zu halten.
    In Avalon war ich dazu erzogen worden, das Göttliche mit einem anderen Antlitz zu sehen. Ich dachte an das Sprichwort »Gott konnte nicht überall zugleich sein, deshalb erfand er Mütter«, und mir schien eher, dass es andersherum lauten müsste: »Mutter hatte nicht genug Brüste für alle, deshalb hat der Mensch genug Gottheiten erfunden, damit jedermann eine Mutter hätte, die ihn niemals wegen eines anderen verlassen würde…«
    Dennoch hielten die Christen daran fest, dass ihre schreckliche Gottheit die Einzige war. Sylvester hatte die Liebe Christi gepredigt, doch ich war eine Frau, und ich wusste, dass die einzige Macht und der einzige Gott die Kraft ist, die zur Stelle ist, wenn wir klein und hilflos sind, und um diese Unterstützung flehte ich jetzt.
    Hekabe fiel mir ein, die den Untergang Trojas beweinte. Sie war vom Alter gebeugt, sah ihre Töchter vergewaltigt, eingesperrt, eine nach der anderen in alle Winde verstreut, vernichtet, sie war dem Wahnsinn nah, der Kinder beraubt… Doch selbst Hekabe hatte nicht den Kummer erdulden müssen, dass ein geliebtes Enkelkind vom eigenen Vater erschlagen wurde, der ihr eigener geliebter Sohn war. Das war meine Strafe dafür, meine Götter verleugnet zu haben.

    Als ich Konstantin schließlich in Treveri einholte, waren zwei Monate vergangen, und der Herbst begann die Blätter in Bronze-und Goldtönen zu färben. Die Stadt war größer geworden, seitdem ich sie zuletzt gesehen hatte. Konstantins große Kathedrale war fertig gestellt, ebenso die Bäder. Als wir unter dem hohen Torbogen hindurchfuhren und in die Hauptzufahrt zum Palast einbogen, bemerkte ich die Veränderungen mit wachsamer Neugier.
    Unsere Karawane war inzwischen um einen Karren für das Gepäck, in dem Cunoarda fuhr, und eine zweite Gruppe Träger für die Sänfte erweitert, denn eine andere Form des Transports konnte ich nicht mehr ertragen. Die Sänfte nahm nur eine Person auf; doch ich war nicht allein, denn Crispus' Totenmaske und die Urne mit seiner Asche begleiteten mich.
    Während der langen Reise hatten Crispus und ich viele Unterhaltungen geführt. Die Träger hatten den anderen erzählt, dass sie mich hinter den Vorhängen

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