Die Priesterin von Avalon
an, als wärst du glücklich damit«, stellte ich fest. »Ich hätte dich nicht für einen Kaufmann gehalten.« Einen Augenblick lang hielten seine grauen Augen meinen Blick fest. »Und was hast du geglaubt?«
»Ein Mann der Waffe«, antwortete ich, denn so hatte ich ihn in meinem Traumbild gesehen.
»Bis vor wenigen Monaten war das auch so.« Sein Gesicht wurde dunkler. »Ich wurde in einer Garnison in Dakien geboren. Mehr als die Armee kenne ich nicht, mehr wollte ich nie sein.«
»Bist du so erpicht auf eine Schlacht?«, fragte ich neugierig. Er wirkte nicht blutrünstig, doch woher sollte ich es wissen?
»Besser gesagt, ich ziehe in jede Schlacht, die Erfolg verspricht«, stellte er richtig. »Gerechtigkeit. Ordnung. Sicherheit für das Volk jenseits der Grenze, sodass der Friede gefestigt wird…« Er verstummte, seine rötliche Haut wurde noch dunkler. Er war offenbar nicht der Mann, der oft seine Gefühle zeigte.
»Dein Schicksal wird sich wenden«, versicherte ich ihm. Einen Augenblick lang betrachtete er mich unsicher, und ich verstärkte die Illusion, die mich verkleidete. »Doch jetzt sollten wir schlafen«, fuhr ich fort. »Die Reise morgen wird beschwerlich nach einem solchen Sturm.« In Wirklichkeit war es jedoch nicht der Ritt, der mich erschöpft hatte, sondern die Mühe, die es mich kostete, mein Wesen zu verbergen, wollte ich mich ihm doch eigentlich mit Leib und Seele opfern.
Gegen Morgen hatte der Regen aufgehört, aber wie erwartet setzte der durchnässte Boden mit zunehmender Wärme seine Feuchtigkeit in Nebelschwaden frei. Während unseres Ritts wurden sie dichter, bis Bäume und Weiden verschwanden und nur noch der Pfad zu sehen war.
»Herrin«, sagte Konstantius, »wir müssen anhalten, ehe wir von der Straße abkommen und im Sumpf landen.«
»Hab keine Angst. Ich kenne den Weg«, antwortete ich ihm. Tatsächlich spürte ich, wie die Kraft von Avalon mich anzog. Wir hatten das höhere Gelände im Nordosten erreicht, von dem eine schmale Landzunge zur Insel hinausführte.
»Ich habe keine Angst, aber ich bin auch nicht dumm!«, fuhr er mich an. »Wir reiten zum Unterstand zurück und warten, bis das Wetter aufklart.« Er streckte die Hand nach meinen Zügeln aus.
Ich trieb das Pony an und riss es an den Zügeln herum. »Flavius Konstantius Chlorus, sieh mich an!« Ich ließ die Illusion der Hässlichkeit verschwinden und beschwor die Macht der Priesterin auf mich herab. Ich hatte Erfolg, denn seine Miene veränderte sich.
»Herrin…«, hauchte er, »jetzt sehe ich dich wie zuvor…«
Ich fragte mich, was er damit meinte, denn ich setzte den Glanz zum ersten Mal ein, und die Kraft baute sich noch weiter um mich herum auf.
»Ich wurde gesandt, um dich zur heiligen Insel von Avalon zu bringen. Willst du aus freien Stücken und auf eigenen Wunsch mit mir kommen?«
»Was werde ich dort vorfinden?« Er starrte mich unverwandt an.
»Deine Bestimmung…« Und Aelia, dachte ich. Einen Moment lang wollte ich ihm zurufen, er solle kehrtmachen und fliehen. »Werde ich in die Welt der Menschen zurückkehren?«
»So will es dein Schicksal.« Jetzt sprachen zehn Jahre Ausbildung aus mir.
»Wirst du mit mir gehen? Versprich es mir!«
»Ja. Ich schwöre es bei meiner unsterblichen Seele.« Später redete ich mir ein, ich hätte ihn so verstanden, als habe er gefragt, ob ich mit ihm nach Avalon ginge, doch heute glaube ich, dass eine tiefere Weisheit diesen Schwur geleistet hat.
»Dann komme ich jetzt mit dir.«
Ich drehte mich um, hob die Arme, um die Macht zu beschwören, und als ich den Zauber aussprach, veränderte sich die Welt ringsum. Beim nächsten Schritt verzog sich der Nebel zu beiden Seiten, und wir betraten Avalon.
Seit der Morgendämmerung war das Dröhnen der Trommeln im Erdreich der heiligen Insel zu spüren wie der Herzschlag von Avalon, erfüllt mit der Erregung vor dem Fest. Die Hagedornhecken standen in voller Blüte, und unter den Bäumen leuchteten cremefarbene Schlüsselblumen und Glockenblumen. Es war der Vorabend von Beltane, und die ganze Welt bebte vor Erwartung. Alle, außer Aelia, die vor Angst zitterte. »Warum hat die Göttin mir das auferlegt?«, flüsterte sie, zusammengerollt auf dem Bett, in dem sie bereits gelegen hatte, als wir auf unsere Weihe warteten. Es wurden gerade keine Priesterinnen ausgebildet, sodass man uns das Haus überlassen hatte, um die Beltanebraut auf das Fest vorzubereiten.
»Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Aber man hat uns
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