Die Priesterin von Avalon
hatten bestimmt stundenlang gedauert. Aber jetzt war ich wieder zurückgekehrt, und der Zeitpunkt war derselbe wie bei meinem Aufbruch. Aber war es dieselbe Nacht? , fragte ich mich mit plötzlich aufsteigender Furcht. Oder derselbe Monat und dasselbe Jahr? Wartete Aelia noch auf mich?
Ich ging weiter und schaute mich ängstlich um, ob sich etwas verändert hatte. Erleichtert seufzte ich auf, als ich die Haselnusshecke vor mir sah, die noch immer halb beschnitten war, so, wie ich sie verlassen hatte. Etwas Bleiches rührte sich in ihrem Schatten - Eldri saß neben einem zusammengerollten Kleiderhaufen, der sich bei näherem Hinsehen als das schlafende Kind entpuppte.
Mit wild klopfendem Herzen sank ich neben ihr auf die Knie. »Der Göttin sei Dank!«, brachte ich atemlos hervor. »Nie wieder will ich an dir zweifeln!« Dann, als mein Pulsschlag fast wieder normal war, nahm ich das Kind in die Arme.
»Dierna, wach auf, Kleines! Du bist jetzt so ein großes Mädchen, dass ich dich nicht tragen kann!«
Das Kind bewegte sich und verkroch sich schläfrig an meiner Brust. »Ich kann da nicht wieder hingehen - ich habe Angst…«
»Ich bleibe bei dir«, sagte ich, »und Eldri auch.«
»Aber er ist so klein«, kicherte Dierna und streckte die Hand aus, um das lockige Fell des Hundes zu kraulen.
»Unterschätze ihn nicht. Er ist ein Zauberhund«, antwortete ich ihr. Im Schatten hatte ich den Eindruck, dass ein wenig vom Glanz des Feenreichs noch an dem hellen Fell hing. »Komm jetzt…« Ich stand auf, und nach anfänglichem Zögern folgte Dierna mir.
Ich sagte mir, ich könnte ins Haus der Jungfrauen zurückschleichen, noch ehe man mich am Morgen vermissen würde, aber auch wenn Ganeda erfahren sollte, dass ich ungehorsam war, kümmerte es mich nur wenig. Es gab genug Stroh im Schuppen, um ein Bett herzurichten, und als ich Dierna überredet hatte, sich hinzulegen, erzählte ich dem Kind Geschichten von meinen Abenteuern im Feenreich, bis es eingeschlafen war.
Dabei legte sich die Müdigkeit nach meinen Abenteuern schwer auf mich, und so kam es, dass Suona, als sie das Kind in der Morgendämmerung freilassen wollte, uns zusammen vorfand. Eldri lag als Türhüter neben uns.
4. Kapitel
A. D. 268-70
In dem Jahr, in dem ich achtzehn wurde, zog ich aus dem Haus der Jungfrauen aus und lebte zusammen mit Heron, Aelia und Roud in einem eigenen Gebäude, denn die Zeit der Weihe zur Priesterin stand kurz bevor, und die Disziplinen, die uns auf die Mysterien vorbereiteten, erforderten strenge Klausur. Wenn wir vier Novizinnen auch von der Gemeinschaft abgesondert waren, so konnte man die Gerüchte, die auf die Insel drangen, nicht völlig von uns fern halten.
Auf Avalon war ebenso wie überall eine Zeit des Sterbens und der Omen angebrochen. Ein ganzes Netzwerk aus Verbindungen sorgte dafür, dass die Hohepriesterin Kenntnis davon erhielt, was im Imperium vor sich ging. Von Zeit zu Zeit brachte einer der Bootsleute aus dem Dorf am See eine lederne Schatulle mit einer Botschaft oder den Boten persönlich herüber, der mit verbundenen Augen vor die Herrin geführt wurde, um ihr das Neueste zu berichten. Ich hatte die Hohepriesterin immer in Verdacht, dass sie vieles erfuhr, was sie nie an die Gemeinschaft weitergab.
Die Nachricht indes, dass der selbst ernannte Kaiser Postumus von seinen eigenen Truppen ermordet worden war, als er sich weigerte, das Beutegut einer eingenommenen Stadt unter den Soldaten zu verteilen, hielt man für wichtig, hatte er doch den Westen einschließlich Britannien vom übrigen Imperium abgetrennt. Ein gewisser Victorinus hatte den Kaisertitel angenommen, doch Gerüchten zufolge war er eher ein Krieger im Bett, und seine Ausschweifungen führten bereits dazu, dass seine Machtstellung abbröckelte. Seine Mutter Victorina, so hieß es, sei jetzt die eigentliche Herrscherin des Imperium Galliarum.
Wir aber, die wir auf der heiligen Insel lebten, schenkten diesen Berichten wenig Beachtung. Als der Winter zu Ende ging, verlor Sian, Ganedas Tochter und mögliche Erbin, ihren Kampf gegen die Krankheit, die sie nach der Geburt ihres zweiten Kindes befallen hatte, und die Gemeinschaft von Avalon versank in Trauer.
Das darauf folgende Jahr versprach kaum besser zu werden. Wir erfuhren, dass die Menschen im Mittelmeerraum von Pest und Hunger dahingerafft wurden und ihre Not dem Kaiser zur Last legten, dass Gallienus ebenso wie sein westlicher Rivale der Klinge eines Mörders zum Opfer fiel. Von Claudius,
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