Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
nützen.«
»Sicherlich. Sie kann. Aber sie will nicht.«
»Ich glaube, sie hat Euch einfach nicht verstanden. Laßt es mich versuchen.«
Der Marder schwieg.
Ganz langsam, wie einer, der sich einem furchtsamen Tier nähert, kam der Hüne auf sie zu. »Ich weiß, du kannst mich nicht verstehen. Aber ich möchte, daß du es versuchst.« Ruhig sprach er. Sanftes Raunen, warmes Murmeln. »Alena. So heißt du doch? Alena. Wir suchen eine Tempelburg, die sich Rethra nennt.« Ohne den Blick von ihr abzuwenden, befreite er mit dem Fuß einen Flecken Waldboden von Laub und Moos. Dann ging er in die Hocke und malte mit dem Finger einen Burgwall: ZweiTürme, eine Wand mit Tor, einen Hügel darunter. »Rethra. Kennst du es? Weißt du den Weg? Alena?« Der wilde Blick des Hünen wurde zahm, und wie er so vor ihr hockte, in ergebener, schwacher Haltung mit seinem blauen Zimbelkrautblick, da empfand sie plötzlich Lust, mit der Hand über seinen blonden Haarschopf zu streichen.
»Rethra«, sagte sie leise.
Im Handumdrehen riß das Band der Blicke, er erhob sich. Das sanfte Gesicht wurde kalt, ein hartes, überlegenes Lächeln zeigte sich darauf. Der Hüne drehte sich zum Mönch um. »Jetzt weiß sie, was wir meinen.«
Um nicht zu schreien, biß sie sich auf die Zunge. Haß loderte in ihr auf: Das Leben guter, slawischer Krieger klebte hellrot an den Eisenhemden der Franken, das Leben von Mstislav, Nelet, Nakon, Rostislav. Der Hüne würde das Opfer sein, man würde ihm Svarožić zu Ehren die dampfenden Eingeweide herausreißen. Sie war die Nawyša Devka!
Der Marder hustete einen Befehl, dann packten sie grobe Hände, zerrten sie zu einem der Pferde. Sie wurde hinaufgeworfen, landete so hart mit dem Bauch auf dem Sattel, daß es ihr den Atem verschlug. Zungenschnalzend trieben die Franken ihre Pferde an. Alena hing über dem Sattel und japste nach Luft. Vor Wut und Verzweiflung weinte sie. Sie versuchte, sich aufzurichten. Eine Faust drückte ihren Kopf wieder hinunter, unerbittlich. Jeden Hufschlag des Pferdes spürte sie mit den knochigen Tierschultern in der Magengrube. Unter ihr raste der Waldboden dahin. Alles verschwamm. Sie mußte sich übergeben.
»Laß sie hoch«, befahl die Stimme des Hünen.
Die Faust packte sie im Genick und zog sie hinauf. »Das Bein rüber«, hörte sie. »Bein rü-ber!« Als sie nicht gehorchte, umschloß eine zweite Faust ihren Fußknöchel und streckte ihr Bein mit gnadenloser Kraft. Die Sehnen drohten zu reißen, dann endlich saß sie rittlings im Sattel. Sie bemühte sich, das Kleid über ihre Scham zu zerren.»Festhalten.« Die rauhe Faust preßte Alenas Finger in die Pferdemähne, schob sie unter das drahtige Roßhaar und ließ von ihr ab, als sie sich darin festkrallte. Doch da war noch der warme Atem in Alenas Nacken. Sie rutschte so weit nach vorn, wie es ihr möglich war, um ihm zu entkommen. Bäume fegten vorbei. Der Wind trocknete die Reste des Erbrochenen auf ihrem Gesicht. Sie zwang sich, an ein Lied zu denken. Im Geist hörte sie die Melodie aus ihrer Kindheit, und sie bewegte die Lippen dazu:
Ardagost und Dobemysl
Schlafen unterm Brombeerstrauch
Prall gefüllt mit süßen Früchten
Ist ihr Traum und sie sind’s auch
Es kümmerte Alena nicht, daß die Franken sie weinen sahen.
3. Kapitel
Er verzog das Gesicht: bitter. Fuhr sich mit der Zunge über die Schneidezähne. Haarige Blattstückchen klebten dort. Er mußte schlucken. Auf allen vieren kniete er, vor den Augen zernagte Pflanzenstengel. Die Blätter hatte er nicht gepflückt, sondern abgefressen wie ein Tier.
Als er die Hand nach den Stengeln ausstreckte, fror seine Bewegung ein. Das war keine Hand, das war eine Klaue. Nägel, die sich wie schwarze Dornen von den Fingerspitzen streckten, dicke, zerschrammte Knöchel, die Haut so schmutzig, als hätte er fortwährend in der Erde gegraben.
Er hob den Kopf. Um ihn herum Wald. Eichen. Ein Haselstrauch. Es kam ihm vor, als zöge er die Wörter aus Krügen in seinem Gedächtnis, die eine Ewigkeit nicht angerührt worden waren.
Langsam richtete er sich auf. Im Rücken knackte es, die Knochen sprangen. Alles erschien ihm weit entfernt, die zerfaserten Pflanzenstengel am Boden, neben ihnen die Blätter, die trockenen Zweige. Sie schwankten dort unten, und er mußte sich an einem Stamm festhalten, um nicht zu fallen. Er hustete.
Wenige Schritte entfernt breitete eine Eiche ihre Arme aus. Er betrachtete sie, schob die Unterlippe vor. Schließlich
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