Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
treten, richtig? Laß uns Freundschaft schließen.« Er schob sich hindurch. Trat von der linken Seite an das Tier heran.
Plötzlich angelegte Ohren, ein spitzes Wiehern.
»Ruhig, ruhig!«
Gelbe Zähne blitzten. Der Pferdekopf schnellte voran.
Embrichos Arm schmerzte wie von einem Dolchstich. Kaum einen Wimpernschlag später antwortete er mit einem Fausthieb gegen den weißen Hals. Erschrocken drängte sich die Stute fort von ihm.
»Hältst du mich für einen Feigling? Du täuschst dich. Ich bin hier, um dich für einen Spaziergang abzuholen, und ich gehe nicht ohne dich. Hast du mich verstanden?« Jede Faser seines Körpers trieb ihn an, die Tür zu öffnen und sich aus dem Unterstand zu flüchten. Der Arm schmerzte fürchterlich, und ihm war klar, daß es nur eine Warnung gewesen war. Ohne Zweifel konnte ihn die Stute zu Tode trampeln. Sie würde einen Kampf mit ihren Zähnen und den Hufen in Augenblicken für sich entscheiden. Er zwang die zitternden Beine zur Ruhe. Nicht Kraft gegen Kraft, sondern Wille gegen Wille. Das hatte er in den Ställen des Kastells bei Magdeburg gelernt. Wille gegen Wille. »Du wirst mir gehorchen. Ich bin ein Freund.«
Die Ohren spielten.
Embricho preßte die Rechte gegen sein Bein, um das Zaumzeug vor den Augen der Stute zu verbergen. Mit der freien Hand strich er über den Pferdehals; keine zaghafte Berührung, sondern ein kraftvolles Streicheln. »Gefällt dir das?« Lange stand er so, tätschelte sie und redete leise. Zuerst versuchte sie noch vor der Hand zurückzuweichen undstampfte verärgert mit den Hufen auf. Dann aber wurde die Stute ruhig. Sie hob einen Hinterlauf und tippte genießerisch mit der Hufspitze auf den Boden, sie drängte sich näher an Embricho und die streichelnde Hand heran, rührte am Ende mit den warmen, weichen Nüstern an sein Gesicht.
»Machst du mir eine Freude?« fragte er. »Es ist ganz einfach.« Er hielt ihr das Zaumzeug vor. Dann schob er ihr seitwärts die Hand ins Maul, bahnte der Trense einen Weg. Schnallen schlossen sich, und innerhalb von Augenblicken war die Stute aufgezäumt. Ehe sie Unwillen empfinden konnte, beruhigte Embricho sie mit langen Streichelbahnen vom Kopf bis zu den Flanken. »Wir gehen ein wenig spazieren, einverstanden? Wenn ich mich merkwürdig verhalte, unter deinem Kopf hindurchtauche und so etwas, wundere dich nicht.«
Mutiges, sicheres Auftreten und Freundlichkeit hatten sie bezwungen. Sie würde ihm vertrauen.
Bald darauf entstand Unruhe bei den Wachen auf dem Wall. Sie duckten sich hinter die Zinnen, wiesen ehrfürchtig auf die Weiße, die die Burg durch das Seetor verließ und den steilen Weg zum See hinabkletterte. Ein schwarzer Schatten flog mit ihr, ein Geist, der dem Dreiköpfigen diente. Unsichtbar ritt Svarožić auf dem Rücken seiner Stute in den Wald hinaus.
Das schwarze Netz der Nacht lag noch über den Bäumen. Hinter den schläfrigen Wolken glühte der Himmel. Es war kühl, das ließ auf den Anbruch eines heißen Tages schließen. Die Frösche im Laketeich stießen sehnsüchtige, knatternde Rufe aus und lauschten, wie sie zwischen den sternenbeschimmerten Bäumen am Ufer verhallten.
Dicht vor Alenas Gesicht blieb eine Libelle im Fluge stehen. Die feinen Flügel surrten. Einige Male verließ das Tier ruckhaft seinen Platz, drehte sich um eine Winzigkeit, und das Surren sprang für einen Augenblick zu einem bedrohlichen Brummen an; dann huschte die Libelle weiter.
Es knackte im Wald. Verfolger? Hatte man die Flucht bemerkt und setzte ihnen nach? Hatte man den Hünen in der Burg gefangen und war nun ausgezogen, auch sie zurückzubringen? Ein weißes Leuchten zeigte sich im Dunkel. Eine der Schimmelstuten. Ihr voran ging der Hüne. Sie folgte ihm wie ein Kind dem Vater: Ungenutzt hingen die Zügel herab.
»Ich bin froh, daß du lebst, Embricho«, wisperte sie.
Sie kamen näher. Der stattliche, hochgewachsene Mann und das schneeweiße Pferd. Die Stute schüttelte den Kopf, daß die Mähne wie Wasser um sie sprühte.
»Du hast sie gebändigt, die Wilde, Feurige?« sagte Alena laut.
»Ich glaube, sie hat sich danach gesehnt, bezähmt zu werden.«
Als sie standen, reckte die Weiße den Kopf hinauf und rupfte Grün von den Zweigen. Embricho rieb sich die Bartstoppeln. Die feinen, geraden Lippen verschoben sich nachdenklich. Schließlich trat er langsam auf Alena zu. Er blieb nicht stehen, auch nicht, als er sie fast berührte. Seine Arme öffneten sich, und er schloß sie darin ein. Alena griff
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