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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Hochpriester hat meinen Sohn getötet. Nun will er auch den Boten Svaroghs vernichten!«
    Dutzende Hände griffen nach dem Linonen. Fäuste prügelten auf ihn ein. Schließlich wurde er von sechs Männern Richtung Tempel geschleppt. Da flammte die Melodie an anderer Stelle in der Menge auf: Ein weiterer Linone begann zu singen.
    »Donner! Bringt diesen Mann genauso heran.« Nevopor lief vor dem Altar auf und ab, reckte die Hände um Sühne flehend zum Himmel empor.
    Eine neue Stimme meldete sich, und noch eine. Ein halbes Dutzend singender Männer. Dann ein Dutzend.
    »Frevel!« rief Nevopor. »Ihr beschwört den Untergang herauf!«
    Zwanzig Stimmen. Fünfzig. Hundert. Man stellte sich denen in den Weg, die Vymer zum Tempel trugen. Kaum war der Linone befreit, übertönte er den Gesang mit feurigen Zwischenrufen: »Der alte Gott erwacht!« »Der Gott des Lichts ist zurückgekehrt!«
    Mehr und mehr Menschen entsannen sich des alten Liedes. Zuerst sangen sie zögerlich mit, dann mit wachsender, unschuldiger Inbrunst, als wollten sie das Vergessen gut machen, als überfiele sie eine Erinnerung mit über Jahre angesammelter Kraft. Die Nachgeborenen, die das Lied nicht gekannt und zunächst nur leise mitgesummt hatten, wagten ein vorsichtiges Intonieren, und einer nach dem anderenprobierte ein kräftiges Schmettern. Die Melodie war einfach. Sie saß in den Knochen der Menschen.
     
    Feuer und Sonne
    Fruchtbarkeit, Beständigkeit,
    Gebärende Erde, Wärme und Licht!
    Zuflucht für Verfolgte
    Richtung für Gebeugte
    Auf Hügeln und Bergen
    In Hainen und an Quellen
    Gibst du, …, gibst du allein.
     
     
    In der letzten Zeile vermieden die Menschen es, den Götternamen zu singen. Sie summten die Töne oder formten leere Silben.
    Dann, nachdem erste Mutige auch den verbotenen Namen über die Lippen gebracht hatten, schwoll jene Zeile bald zur kräftigsten des Liedes an. Es stieg dort die Melodie in die Höhe, nachdem sie zu einem Luftholen pausiert hatte. Das Redariervolk sang wie ein Mann:
     
    Gibst du, Svarogh, gibst du allein.
     
     

35. Kapitel
     
     
    Das Gesicht Nevopors erschien über Uvelan, weiß, spitz, wutverzerrt. Beinahe unmenschlich. Nevopor sagte nichts, sah ihn einfach an. Schließlich schien er sich zu entspannen: Das Blut kehrte zurück in die Wangen, die Züge glätteten sich. Sein Blick wurde undurchdringlich, als zöge ein schwarzer Schleier vor die Augen. Er sagte leise: »Hebt ihn wieder herunter.«
    Uvelan wurde an den Beinen gepackt, feste Hände griffen ihm unter die Achseln und zerrten ihn vom Stein. Er riß sich die Hände wund.
    Als Nevopor den Arm hob, ebbte der Gesang ab. Der Priester sprach nicht, bis vollkommene Ruhe eingekehrt war.
    »Seht ihr das?« sagte er endlich mit einer Beherrschung, die an Gelassenheit grenzte. Die Finger gespitzt, hob er das fränkische Zauberzeichen von Uvelans Brust auf, als berühre er eine Kröte. Er ließ es zurückfallen, verächtlich. »Das Zeichen des fränkischen Gottes Jesus. Ein Geschenk zwischen Freunden, nicht wahr? Der Frankenpriester gab es seinem Verbündeten, bevor er starb. Und ihr meint, dieser sei der Bote des hohen Vaters? Der wahre Priester des Gebers aller Gesetze würde einen fränkischen Mönch, der ihn als Freund bezeichnet, von sich stoßen, würde ihm ins Gesicht spucken und ihm den Tod wünschen.« Nevopor schlug Uvelan die flache Hand auf die Kehle.
    Uvelan hustete, beugte sich nach vorn in dem verzweifelten Versuch, Atem zu schöpfen.
    »Dieser hier ist ein Verleumder, einer, der es wagt, Svarožić zu verspotten.«
    »Laß ihn sprechen«, rief Vymer. »Warum knebelst du ihn, wenn es nicht Svaroghs Bote ist?«
    Andere schrien: »Ja, warum ist er geknebelt?«
    »Er soll sprechen!«
    »Er selbst muß das Zauberzeichen erklären.«
    Nevopor zögerte, kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Schließlich nickte er eckig.
    Jemand fingerte an Uvelans Hinterkopf herum. Der Knebel löste sich.
    »Sprich!« sagte Nevopor. »Erkläre dem Volk, warum du dich mit den Franken verbündet hast, mit denen, die unsere Frauen und Kinder durch Schwert und Feuer bedrohen.«
    Mühsam sog Uvelan Luft in seine Lungen. Speichel tropfte ihm vom Kinn. Er wischte mit dem Ärmel darüber, spürte, daß er sich warmes Blut ins Gesicht geschmiert hatte. Dann lächelte er. »Ich bin Uvelan. Ich bin Svaroghs Bote.«
    »Das Zauberzeichen der Franken macht ihn noch stärker!« rief Vymer. »Auch der Frankengott ist Svarogh untertan.«
    »Nein.« Uvelan wartete, ließ

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