Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
ist doch einer von uns!«
Uvelan spähte, kniff die Augen zusammen. Er konnte ihn in der Menge nicht entdecken.
»Ja, es ist ein Redarier«, sagte Nevopor. »Aber bezeugt es nicht besonders unsere Ehrfurcht vor dem dreiköpfigen Gott, wenn wir einen der Unseren opfern? Etwas Wertloses zu geben ist leicht. Das Kostbare zeigt Svarožić erst wirklich, wie sehr uns an seiner Hilfe gelegen ist.«
Ein anderer fragte: »Warum er?«
»Er hat das Gebot gebrochen. Er hat den Namen des hohen Vaters ausgesprochen. Fragt nicht weiter danach, ihr wißt, daß es nicht gut ist, davon zu sprechen. Es rührt an heilige Belange, die nicht angetastet werden sollten. Er ist des Todes würdig. Schweigt – es beleidigt den Lichtbringer, wenn wir um sein Opfer feilschen.«
Da. Dort war Vymer. Er reckte den Kopf über die Umstehenden und rief so laut, daß es bis an die Ohren Nevopors dringen mußte: »Ist das nicht sein Priester? Der letzte, der noch mit ihm zu sprechen vermag?«
Eine tiefe Erdspalte, die inmitten der Menge im Erdboden aufriß, hätte nicht mehr Aufregung verursachen können. Bestürzte, blasse Gesichter starrten zu Uvelan hinauf, Münder standen offen, Augen wurden so weit aufgerissen, daß sie sich aus den Höhlen wölbten. Die Nachricht schoß im Flüsterton durch die Menschenreihen, huschte von Gruppe zu Gruppe, von Wall zu Wall, bis sie den letzten erreicht hatte. Dann war es still. Irgendwo in der Vorburg stieß eine Ziege ein Meckern aus. Noch härteres Schweigen folgte.
Uvelan sah zu Nevopor hinüber. Im Gesicht des Priesters spannten sich die Muskeln. »Deine Lüge, Linone, wird eine harte Strafe finden. Der alte Priester ist längst tot. Weißt du nicht, daß der Zorn des väterlichen Gottes die gesamte Familie hinweggerafft hat? Lehne dich nicht gegen die Götter auf, sonst wirst du geknickt wie ein dürrer Halm!«
Niemand wagte eine Antwort.
»Tötet ihn.«
Der fremde Gott ließ ihn nicht sprechen? Alle Erregung,alle Neugier erlosch. Plötzlich sah Uvelan wieder den greulichen Altar, sah das Blut, den Körper ohne Kopf, Hände und Füße, den die Priester in eine Reihe mit den Opfertieren gelegt hatten. Er würde genauso sterben, nur geknebelt, stumm. Auf diesem dunklen, sinnlosen Stein würde er den letzten Atemzug tun. Er fror. War das das Wesen des Christengottes? Er bestrafte einen Menschen, der zu ihm kam und darum flehte, seine Hilfe zu erfahren? Was für ein kalter, grausamer Gott war es, den die Franken verehrten!
Man stieß ihn bis zur Kante der Steinplatte. Vier Priester packten seine Schultern und seine Beine, hoben ihn hinauf und legten ihn rücklings auf die Altarfläche. Uvelan spürte, wie warme Nässe in seine Kleidung eindrang, wie sie seinen Rücken benetzte, in seinen Haarschopf kroch.
Er riß die Augen auf, wollte die Axt sehen, die auf ihn niederstürzen würde. Es rauschte in seinen Ohren.
Und dann diese Melodie. Sie legte sich wie eine sanfte Hand auf seine Stirn, erfüllte die Ohren, den Mund, den Kopf. Uvelan hörte das alte Lied. Das Lied Svaroghs. Anschwellende Töne, die sich hinaufwiegten von Zeile zu Zeile. In der Mitte sanken sie kurz ab, um dann neu emporzuwogen und in der Schlußzeile zu gipfeln: »Gibst du, Svarogh, gibst du allein.« Er löste die verkrampften Arme, senkte auch die Knie auf den Stein. Gibst du, Svarogh …
Der Hain. In Gedanken schritt Uvelan den Hügel hinauf. Der Zaun war in bester Ordnung. Aufrecht standen die mit zahllosen Schnitzereien verzierten Pfosten der Pforte. Auf dem Scheitel des Hügels reckten sich Eichen in den Himmel. Sie überragten weit das Blätterdach des Waldes. Kein Wind konnte die mächtigen, uralten Stämme beugen. An den unteren Zweigen hingen Kränze aus feinen Blüten. Eine Schale mit Äpfeln lag vor den Bäumen, daneben stand ein Honigtopf. Es roch nach Eicheln vom vergangenen Jahr und nach den trocknenden Blumen und Kräutern der Kränze. Ein feiner Honigduft mischte sich dazu. An Uvelans Arm blitzte der Schlangenarmreif. Ergriff sich an die Stirn, tastete nach dem Priesterband. Hier herrschte Friede. Begegnet den Geistern mit Ehrfurcht, beugt euch vor den ewigen Eichen, die ihre Wohnstätte sind.
Das Lied Svaroghs.
»Packt ihn!« brüllte Nevopor. »Er soll bei lebendigem Leibe zerrissen werden. Er erzürnt die Schutzgeister des Tempels. Er erzürnt Svarožić! Schafft diesen Mann heran! Vor zum Tempel mit ihm. Er soll zerfleischt werden!«
Man drang auf Vymer ein, und der Gesang wich einem lauten Rufen: »Der
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