Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
anpirschen.
Das dritte Tor: Die Stute hob zögerlich den Huf, setzte ihn wieder ab. Sie stampfte auf den Boden. Der Kopf des Pferdes wandte sich zur Seite, als wollte es den Tempel beschauen.Nevopor sprach leise auf es ein. Dann ein Schritt, ein Huf, der auf dem Sand knirschte. Links.
Die Menge seufzte wie ein Mann. Erleichterung.
Der Priester wies auf Tietgaud. »Jener.«
Wie konnte das sein? Hatte Svarogh ihn nicht hierhergebracht, hatte er ihn nicht zu neuem Leben erweckt nach Jahrzehnten des Sterbens? Wie konnte der Christengott gewonnen haben? Unmöglich.
Die Priester traten auf Tietgaud zu, packten ihn an den Oberarmen und schoben ihn zum Altar hinüber. Es sah aus, als wäre er einer der ihren, als wäre er ein gefallener Priester, der noch den schwarzen Mantel trug, aber ihn durch seine Unwürdigkeit befleckt hatte: die Kutte von Rutenschlägen in Streifen geschnitten, darunter rot-blaue Flecken, Wunden, verkrustetes Blut. Auf der Stirn ein Kreuz von eingetrocknetem Blut.
Und doch stand Tietgaud aufrecht.
Ein Wink Nevopors. Man nahm ihm den Knebel ab.
»Möchtest du deinen Gott noch einmal um Hilfe anflehen?«
Der Mönch sah zu Nevopor hinüber, ohne Haß. »Bitte hängt Uvelan das Kreuz um. Ich möchte es ihm schenken.«
Zuerst stutzte Nevopor, dann spielte ein Lächeln in seinen Mundwinkeln. Er schnurrte einen Befehl.
Einer der Priester, dessen Kopf ohne Unterbrechung auf dem Hals schwankte, zog Tietgaud das Lederband über den Kopf und trat auf Uvelan zu. Uvelan sah Nevopors Lächeln breiter werden, es war, als würde er sagen: Wird dir jetzt noch jemand glauben, daß du Svaroghs Priester bist? Das Silberkreuz schlug schwer auf Uvelans Brust auf.
»In amicitia«
, sagte Tietgaud. »In Freundschaft, Uvelan. Wenn ich tot bin, vergiß nicht, daß mein Gott stärker war. Daß er mich predigen lassen hat.« Er wendete sich Nevopor zu. »Wie sieht euer Götze aus?«
»Du meinst den Gott, der über deinen triumphiert?« Nevopor sprach laut, so, daß es viele hören konnten. »Erhat drei Köpfe, drei Gesichter, drei Augenpaare, denen nichts entgeht. Er ist breit und stark wie ein Baum, und seinem Schwert entkommt kein Feind. Und dein Gott, der zu Boden Geworfene? Wie sieht er aus? Warum rettet er dich nicht, der du doch sein Diener bist?«
»So, drei Köpfe.« Einen Augenblick schwieg Tietgaud nachdenklich.
»Stürze auf die Knie, Mönch, und flehe deine Geister um Hilfe an! Das Volk soll sehen, wie machtlos deine Helfer sind.«
Tietgaud schüttelte den Kopf. Er erhob ebenfalls laut seine Stimme. »Wenn er wollte, könnte Christus mich retten. Er könnte euch mit dem Hauch seines Mundes vernichten. Aber ich weiß, daß er andere Pläne hat.«
Breit grinsend übersetzte Nevopor. Die Menge lachte.
Uvelan senkte das Kinn und sah auf das fränkische Zauberzeichen, das silberne Kreuz, das auf seinem Brustbein ruhte. Wenn du so mächtig bist, sprach er in Gedanken zum Kreuz, dann beweise es mir. Laß auch mich zum Volk reden. »Siehst du dieses Kreuz?« hatte Tietgaud einmal zu Audulf gesagt. »Daran sollst du dich halten. Das Kreuz ist es, das dir Rettung bringt, und nichts anderes.« Würde es ihm, Uvelan, Rettung bringen? Es war ein Todessymbol, Zeichen dafür, daß Christus für die Menschen gestorben war, um sie auszulösen, sie zu befreien. Hatte er ihn frei gemacht?
»Auch mein Gott hat drei Köpfe«, fuhr Tietgaud fort. »Das Vatergesicht, das Gesicht des Sohnes und das Gesicht des Geistes.«
Aufmerksam folgten die Männer und Frauen der Übersetzung Nevopors.
»Wißt ihr, was der Unterschied ist zu eurer Gottheit? Der, den ich anbete, ist nicht nur Herr über das Leben, er besitzt auch Macht über das Totenreich. Seht mich an! Ich habe keine Furcht zu sterben. Christus wird mich wiedererwecken!«
Obwohl Nevopor die Worte des Mönches in spöttischem Ton wiedergab, schwieg die Menge bestürzt.
Uvelan beobachtete Nevopor genau. Der Priester fuhr sich mit der Hand durch den Bart, blinzelte besorgt in den Kessel der Vorburg hinunter, wo die weiter vorn Stehenden das Gesagte nach hinten weitergaben. Ein kleines Handzeichen war es nur, etwa die Bewegung, mit der man einen Krümel von der Tischkante fegt. Sofort packten die Priester Tietgaud an den Schultern und schoben ihn zur Kante des Altars.
Die Stimme des Mönches bebte mit einer Tiefe, die die Worte weit zwischen die Wälle trug: »Jesus spricht: Ich gebe euch meinen Frieden, einen Frieden, den die Welt nicht geben kann.«
Man hob ihn
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