Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Größeres.«
»Hat Euch Euer Abt nicht nach
Magdeburg
gesandt? Was tut Ihr
hier
?«
»Ich ging nach Magdeburg, um im fränkischen Kastell Hilfe für meine Unternehmung zu erlangen. Das ist der einzige Grund. Und es ist mir gelungen – sehe ich davon ab, daß der mir mit besten Worten empfohlene Anführer fortwährend meinen Anweisungen widerspricht.«
»Ich gehorche Kastellan Haldemar, dem ich viel verdanke. Von sinnlosem Sterben hat er nichts gesagt.«
»Ihr würdet nicht einmal die einjährige Probezeit in Corbeia Nova bestehen.
Oboedientia utere
, übe Gehorsam!«
»Ich bin kein Mönch und werde auch nie einer sein.«
»Das bedeutet nicht, daß Ihr von der Pflicht zum Gehorsam entbunden seid.«
»Ich weiß wohl, was Gehorsam ist. Laßt Euch gesagt sein: Ihr werdet den Tod dieser Männer vor Gott verantworten – nicht ich.«
»Es sei. Begraben wir die Toten, und dann auf nach Rethra.«
»Nein. Wir kehren um. Vier Männer sind geblieben – es ist Zeit, daß Ihr Euer Unterfangen aufgebt.«
»Wartet, hört mir zu!« platzte Alena heraus. »Ich kann Euch helfen. Ich führe Euch nach Rethra. Man wird Euch dort empfangen.« Sie begegnete Embrichos blauem Zimbelkrautblick, und alles, was sie sagen wollte, verknotete sich in ihrem Kopf.
»Uns empfangen?« Der Marder runzelte die Stirn. »Wie soll das gehen?«
»Ich kenne Rethra und seine Rituale. Ich kann Euch helfen, dort Zuhörer zu finden. Habt Ihr nicht gesagt, dieser Ansgar berichtete den Völkern im Norden von Eurem Gott? Wenn es das ist, was Ihr wollt, habt keine Sorge. Ihr müßt nicht kämpfen. Man wird Euch aufnehmen, und ich werde Euch Zugang zu den Führern der Tempelburg verschaffen.«
Da hellte sich das Gesicht des Mönchs auf: »Gepriesen sei Gott! Unsere Mission ist nicht verloren.« Er funkelte Embricho an: »Seht Ihr? Es gibt einen Weg, wir brauchen nicht umzukehren.«
»Laßt uns die Toten begraben.« Müde wies der Hüne zum Lager.
Zuerst fanden sie Ebo. Er lehnte immer noch an dem Baum, unter dem er in den Abendstunden seine Wache begonnen hatte. Aber inzwischen umgab ihn eine Blutlache, und der Körper endete am Hals. Ebos Kopf fehlte. Alena blieb stehen, ließ die anderen weiterlaufen, die vor Erschütterung nicht sprechen konnten. Sie wußte. Sie mußte nicht nachschauen.
Alle würden ohne Kopf sein. Die Polaben trugen die abgetrennten Häupter zurück zur Burg, stiegen in Boote und ruderten zu den Pfählen, die rings um die Insel ihre Spitzen aus dem Wasser streckten. Unter dem Jubelgeschrei der Burgbewohner würden sie die fränkischen Hälse auf die Pfähle rammen, daß die Gesichter sich mahnend von der Burg abwandten und jeden Besucher glotzenden Auges von der Kampfeskraft der Polaben überzeugten, jeden, derdie lange Brücke zur Burg zurücklegte und entlang des Walls wanderte bis zum Tor. Der See würde das letzte Blut der Toten kosten und es wie Nebelschwaden verwischen. Seine Wellen würden ihr Antlitz wiegen, es anklagend in den Himmel werfen, verzerren, es teilen und brechen.
Wenn der Fürst es wünschte, würden die Krieger einen Kopf, der ihnen besonders schön erschien, zum Heiligtum hinter der Burg tragen, auf den Inselausläufer, der den Tempel beherbergte, und ihn dort der Göttin Siva weihen.
Ein Beben im Bauch war es erst, dann verzog sich ihr Gesicht und die Kehle krampfte sich zusammen. Nach einem kurzen, heftigen Atemstoß flossen die ersten Tränen. Immer heftiger weinte Alena. Sie taumelte weiter, stolperte halb, halb ließ sie sich willentlich fallen. Am Boden kauernd, weinte sie, atmete in Stößen.
Sei hart! sagte sie sich. Du bist die Tochter des höchsten Priesters! Welchen Grund hast du, über die Rache Svarožićs zu erschrecken, du, die du den göttlichen Geber der Gesetze kennst und verehrst, du, die du dem Feuerherrn näher bist als irgend jemand sonst, Vater ausgenommen. Es wird ihn erzürnen, daß du flennst, anstatt ihn für sein Handeln zu loben!
Je mehr sie sich zusammenzureißen versuchte, desto ungehemmter flossen die Tränen. Sie schluchzte wie ein Kind.
Endlich, als ihr Kopf leer geworden war, als er sich anfühlte wie eine ausgeschüttete, hohle Schale, konnte sie ruhiger atmen. Bald darauf hörte sie neben sich jemanden in die Hocke gehen. »Ihr vergießt Tränen um unsere Krieger?«
Alena sah Embricho an, schüttelte wortlos den Kopf. Sie bemühte sich, langsame Atemzügen zu nehmen, schluchzte gegen ihren Willen. Mit dem Ärmel wischte sie sich über das nasse
Weitere Kostenlose Bücher