Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Ahnung, daß Tietgaud einen unermeßlich kostbaren Schatz hütete. Er wollte diesen Schatz finden und ihn an sich reißen. Er wollte ihn sich in den Mund stopfen, verzehrte sich danach. Was der Mönch berichtete, klang so unmöglich, daß es keine Lüge sein konnte. Uvelan war einer Erkenntnis auf der Spur, und er würde sich durch nichts davon abbringen lassen. »Dieser gleiche Christus«, fragte er, »der von den Menschen umgebracht wurde – er will zurückkehren? Wie geht das, wenn er doch tot ist?«
»Gott hat ihn zu neuem Leben erweckt.«
»Ist er ein Wiedergänger? Sein Geist hat keine Ruhe gefunden?«
»Unsinn. Welcher Frevel, so etwas zu denken! Christus ist mächtiger als je zuvor. Gott hat ihm eine strahlende, himmlische Daseinsform geschenkt. Die Schriften sagen,sein Haupt und sein Haar seien weiß wie Wolle, wie der Schnee, und seine Augen Feuerflammen, und seine Füße Golderz, das im Ofen glüht, und seine Stimme ein großes Wasserrauschen. Sein Angesicht leuchtet, wie die Sonne strahlt.«
»Das ist der Gott, den du anbetest?«
»Es ist der einzige Gott, der Anbetung verdient! Wenn er Gericht hält, wehe denen, die sich Götzen hingegeben haben. Uvelan, du bist alt, aber noch ist deine Zeit nicht abgelaufen. Kehre dich ab vom heidnischen Irrweg. Gott verzeiht mit Großmut, wende dich ihm zu!«
Uvelan sah sich nach Alena um. Spürte auch sie dieses fremde Leuchten, diese wilde Feuersbrunst des Wissens?
Alena war fort.
Er hatte nicht einmal bemerkt, daß sie verschwunden war.
»Eines Tages, wenn der Herr auf diese Erde zurückkommt, wird er wählen, wer ihm treu war und wird seine Nachfolger reich belohnen, indem er mit ihnen in …« Tietgauds Stimme rückte in die Ferne. Es war nicht im geringsten geschehen, was Uvelan erwartet hatte. Er war sich sicher gewesen, daß Alena mit Wut und Ekel reagieren würde, sollte sie entdecken, wer ihr die Geschenke gebracht hatte. Sie trug sie nur, weil sie dachte, sie seien vom Hünen für sie gesammelt worden – das war Uvelans feste Überzeugung gewesen. Und nun: Die Lachfalten um die Augen, das Funkeln in den zwei dunklen Honigseen, als sie ihm entlockte, was sie schon zu wissen schien. Wie hatte sie es ahnen können? War sie wach gewesen heute im Morgengrauen, als er ihr die Steine und die Feder neben das Gesicht legte? Er hatte genau auf ihre Atemzüge geachtet und auf die Bewegung der Augen unter den Lidern. Sie mußte geschlafen haben.
Warum hatte sie so freundlich gesprochen? Warum hatte sie geschmunzelt? Sie hatte ein Geständnis gewollt.
Mit Erstaunen bemerkte er ein leises Pochen im Bauch unterhalb der Rippen. Ein zweites Herz schlug dort, sehrzart, aber so deutlich, daß es einen süßen Schmerz bis in den Hals hinauf sandte. War die, die er liebte, nicht längst tot? Alena lebte, und jede Freude, die er ihr bereitete, war wie die Bitte um Vergebung. Vergebung dafür, daß er die Geliebte zuerst glücklich gemacht und dann dem Verderben preisgegeben hatte.
Plötzlich überfielen ihn Erinnerungen, Dinge, die er vollkommen vergessen hatte. Sie erwachten wie ein Feuer, das ihn von innen zerfraß. Eine behaarte Hand, vorspringende Adern und Sehnen, während die Hand sich zusammenzog und streckte. Sie war in eine Ölpresse eingeklemmt. Rechts und links die Keile, die den Balken auf sie niederzwangen. Unter der Hand der runde Amboß, auf dem sonst die Leinsamen lagen, aus denen das Öl gequetscht werden sollte. Ein Mann schrie. Und Uvelan schlug mit dem Hammer die Keile tiefer hinein, immer tiefer. Die Hand knackte. Irgendwann floß Blut über den Handrücken, tropfte am Amboß hinunter in das Sammelbecken auf dem Boden. Er, Uvelan, schlug mit dem Holzhammer auf die Keile. Er war hart gewesen, härter als sein Vater und sein Bruder es zu ihren Lebzeiten gewesen waren. Ungehorsam bestrafte er ohne Gnade.
Das verendende Pferd. Es hatte leuchtend schwarzes Fell gehabt. Ein edles Tier, aus dem Süden, nur im Süden gab es solche Pferde. Die Beine schlugen noch ein wenig aus, aber es lag bereits auf der Seite, um zu sterben. Am Hals zeigten sich große Adern. Die Nüstern blähten sich, und es schnaubte leise. Der hohe Herr liebte dieses Pferd. Es war sein ein und alles.
Uvelan hatte viel Rittersporn gesammelt, am Waldrand. Hinter jeder der blauweißen Blüten ragte ein grüner Dorn heraus, wie eine Drohung. Um bei diesem fremden Pferd sicher zu gehen, hatte Uvelan die Blüten abgetrennt und hatte ihm nur die Wurzeln und das Kraut zu fressen gegeben.
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