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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Das Gift war stark. Drei Handvoll Rittersporn genügten für ein großes Tier wie dieses.
    Der Fürst, der es gewagt hatte, Svaroghs Würde zu verspotten, ließ den Kadaver am nächsten Tag verbrennen und bestattete ihn in einem Hügel, als wäre ein Mensch gestorben, ein Mitstreiter. Am Abend kam er zum Hain und opferte Svarogh. Er hatte die Strafe Gottes angenommen und daraus gelernt.
    Uvelan war damals stark gewesen. Er preßte die Zähne aufeinander, daß es knirschte. Jung und stark war er gewesen.
    Es war deutlich, was Svarogh von ihm wollte. Er sollte die alte Härte zurückerlangen. Uvelan ballte die Hände zu Fäusten. Er mußte den Hain finden und wiederherstellen.
    Damals war seine Härte nur ein Zeichen von Schwäche gewesen. Brauchte ein starker Führer grausame Strafen? Nein. Die Menschen folgten ihm freiwillig. Er, Uvelan, mußte grausam sein, weil man ihn für schwach gehalten hatte. Er hatte beweisen wollen, daß Vater und Bruder im Unrecht waren. Und hatte ihnen doch nur Recht gegeben.
    Dieses Mal würde er weise sein. Dieses Mal würde seine Stärke nicht auf Grausamkeit beruhen. Es war alles anders. Uvelans Stärke speiste sich nun aus Gerechtigkeit.

18. Kapitel
     
     
    Die Quelle plätscherte und gluckste zwischen den Wurzeln der Eschen. Moos kleidete die Bäume: rotgrüne Stiefel. Der Hüne beugte sich herab, legte seine Hand auf den Rücken der jungen Frau, zwischen die Schulterblätter, als würde er sie halten. Sie küßten sich. Immer wieder berührten sich die Lippen, seine schmalen, geraden, und ihre leicht vorstehende Oberlippe über der kleineren Unterlippe. Sie legte ihre Hände um seinen Hals, streichelte die blonden, fingerlangen Haare, lächelte, daß ihre Mundwinkel kleine Falten warfen. Die Augen der beiden waren geschlossen. Endlos erstreckte sich der Wald, er reichte von einem Ende der Erde bis zum anderen. Und hier an dieser Quelle war die Mitte, das Herz.
    Vollkommen unerwartet drückte Embrichos Hand so stark auf Alenas Rücken, daß es ihr weh tat. Er löste seine Lippen von den ihren und zog Alenas Körper nahe an sich heran. Sie spürte, wie er sich herunterbeugte und seinen Kopf voranschob. Ihre Wangen berührten sich. Der Hüne atmete schwer.
    »Was ist mit dir?« fragte sie.
    »Laß uns hier weggehen. Das Plätschern, dieses ständige Aufklatschen von Wasser – es tut mir in den Ohren weh.«
    »Für mich klingt es wie ein leises Murmeln. Findest du nicht, daß die Quelle zärtlich sprudelt?«
    »Der ganze Wald dröhnt davon!«
    Alena kämpfte sich aus der Umarmung frei. Sie sah Embricho ins Gesicht, aber er wich ihrem Blick aus. »Also gut«, sagte sie. »Gehen wir ein Stück.« Beinahe streng wand sie die Hand um seinen Arm und zog ihn mit sich.
    »Weißt du, wonach ich mich sehne? Nach einer Stadt, nach einem Kastell. Nach dem weiten, blauen Himmel über den Mauern, ein paar Schwalben, die ihn durchsegeln. Nach dem Quietschen der Brunnenwinde, wenn der Eimer im Schacht nach oben schaukelt, diesem Quietschen, das von den Häusern widerhallt. Und nach Hühnern mit ihrem beruhigenden Gurren. Der Wald gefällt mir nicht. Das ist nicht mein Zuhause.«
    »Siehst du nicht, wie schön das Licht in langen Bahnen durch die Blätter bricht und auf den Boden scheint? Hörst du nicht die Vögel?«
    »Lieber will ich die gedämpften Gesänge aus der Stephanskirche hören oder das Glockenläuten am Abend. Dir gefällt das bißchen Licht, das wir hier sehen? Merkst du nicht, daß wir fortwährend im Schatten laufen? Die paar Sonnenflecken – es gibt viel mehr Sonne, viel mehr Himmel über einer Stadt.«
    »Du hast Heimweh.« Es stach in Alenas Brust, als sie dieses Wort aussprach: Heimweh. Es klang, als wollte er fort von ihr. »Warum hast du mich geküßt, Embricho?«
    »Du gefällst mir. Und es … es haucht mir Wärme ein, verstehst du, wie ich das meine?«
    Alena schwieg.
    »Warum wolltest du, daß wir uns küssen?«
    »Ich weiß nicht.« Sie blinzelte eine Träne fort, die sich in ihrem Auge festsetzen wollte. Der Hüne kam ihr mit einemmal fremd vor. Was hatte sie falsch gemacht? »Bist du noch wütend auf mich, weil ich mit Uvelan gescherzt habe?«
    »Unsinn.«
    Der Wald lichtete sich; gefallene Baumriesen lagen wie nach einer Schlacht kreuz und quer am Boden. Ihre Stämme, von Moos und weißgrünen Flechten bewachsen, mußten überklettert werden. Wenn Alena sich darauf stellte, riß der zarte Bewuchs, und das Holz zerbrach unter ihren Füßen mit einem weichen Knirschen.

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