Die Principessa
statt Wein, Brot und Käse ein Zeichenbrett und einen Graphitstift aus seinem Bündel hervorholte.
»He, Michelangelo, was zeichnest du da?«
»Sicher nackte Engel, so selig wie der guckt!«
»Oder vielleicht Eva mit der Schlange?«
»Glaub ich nicht! Was weiß denn der vom Paradies?«
Francesco achtete nicht auf die Rufe. Sollten ihn die anderen nur verspotten und Michelangelo nennen – er wusste, was er tat. Wie jede freie Stunde nutzte er auch die Mittagspause, um die Architektur von Sankt Peter zu studieren. Konzentriert und geduldig zeichnete er die Säulen und Bögen nach, um immer tiefer in die Gedanken seines großen Vorbilds einzudringen, von dem die herrlichsten Teile dieses Gotteshauses stammten, die Gregorianische Kapelle, in der Francesco sich soeben niedergelassen hatte, ebenso wie die mächtige Kuppel, die wie ein steinerner Himmel die Vierung überwölbte.
Francesco hatte nicht vor, sein Leben lang ein Steinmetz zu bleiben, um irgendwann einmal an einer Staublunge zu krepieren, unbekannt und unbedeutend, wie seine Kollegen, die ihre Tage und Jahre damit verbrachten, Steine zu behauen, Balustraden zu verzieren oder Profile auszuführen, nach fremden Entwürfen und ohne eigenen Anteil. Nein, er, Francesco Castelli, wollte Architekt werden, das war so gewiss wie sein Glaube an den dreifaltigen Gott, ein großer und bedeutender Baumeister, der eines Tages selber Kirchen und Paläste errichtete! Dafür hatte er seine lombardische Heimat verlassen, hatte bei Nacht und Nebel in Bissone sein Bündel gepackt, ohne seinen Eltern ein Wort zu sagen, und war erst nach Mailand und dann weiter nach Rom gezogen, um die Geheimnisse der Baukunst zu erlernen.
»Das ist eine Frechheit! Verlassen Sie meine Baustelle! Sofort!«
»
Ihre
Baustelle? Dass ich nicht lache! Seit wann sind Sie der Papst?«
Francesco schrak aus seinen Studien auf. Erregte Stimmen drangen vom Hauptaltar zu ihm herüber, Stimmen, die mit jedem Wort lauter und heftiger wurden. Er packte seine Sachen und spähte um die Säule, die ihn vom Mittelschiff trennte.
Im Kuppelraum, dem Allerheiligsten der Kirche, auf dem Grab des Apostels Petrus, reckte Carlo Maderno, Francescos greiser Lehrherr, voller Zorn seine Hände in die Höhe. Er hatte seine Sänfte verlassen, in der er, gebrechlich wie er war, gewöhnlich zur Baustelle getragen wurde, und trat einem jungen Mann entgegen, der, gekleidet wie ein Pfau, breitbeinig dastand, die Arme vor der Brust verschränkt, das Kinn erhoben, und dabei ein so verächtliches Gesicht zog, als wolle er auf den Boden spucken. Francesco kannte diesen Mann, der kaum älter war als er selbst, so wie jeder in der Stadt ihn kannte: Gian Lorenzo Bernini, der Marmorbildhauer, der mit seinen Skulpturen bereits Aufsehen erregt hatte, als Francesco noch in die Lehre gegangen war. Maderno hatte sie einmal einander vorgestellt, doch Bernini hatte Francescos Gruß nie erwidert.
»Ich bin der Dombaumeister«, rief Maderno mit zitternderStimme, »und ich verbiete Ihnen, hier auch nur einen Stein anzurühren!«
»Sie haben mir gar nichts zu verbieten«, erwiderte Bernini. »Papst Urban hat mich beauftragt, den Hochaltar zu bauen.«
Francesco biss sich auf die Lippen. Dann war es also doch wahr, was seit ein paar Tagen unter den Handwerkern der Dombauhütte gemunkelt wurde: dass der neue Papst die Ausgestaltung der Peterskirche dem jungen Bildhauer anvertrauen wollte. Was für eine Demütigung für den alten Dombaumeister!
»Sie – einen Altar bauen?«, fragte Maderno. »Wie denn, Sie Wunderkind? Dafür muss man Architekt sein, Ingenieur! Wissen Sie überhaupt, wie man das Wort Statik buchstabiert?«
»Nein.« Bernini grinste und musterte ihn von Kopf bis Fuß.
»Dafür weiß ich aber, wie man Einfaltspinsel buchstabiert: M-a-d-e-r-n-o!«
Der greise Baumeister erstarrte, alles Blut wich aus seinem Gesicht, kraftlos hing ihm der Unterkiefer herab, und für einen Moment fürchtete Francesco, dass er tot umfallen würde. Francesco wusste, Maderno war in seinem Innersten getroffen, und er wusste auch, warum. Doch dann, so plötzlich, wie er erstarrt war, wandte sein Lehrherr sich ab; mit Tränen in den Augen, das schlohweiße Haar auf den Schultern, sank er in seine Sänfte und befahl zwei Arbeitern, ihn hinauszutragen.
»Dieses Haus«, rief er mit bebender Stimme, »obwohl das größte Gotteshaus der Erde, ist zu klein für diesen Menschen und mich.«
Francesco begriff nicht sogleich. Wie, Maderno, sein Lehrherr und
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