Die Principessa
wir im Dom, wo ein Gelehrter bewiesen hat, dass die Erde sich dreht. Stellen Sie sich vor – die Erde dreht sich, ohne dass wir runterfallen! Galilei heißt der Mann.«
»Wie ich dich beneide!«, sagte Donna Olimpia. »Eine Frau, die allein von England nach Italien reist. Ich glaube, ich habe bislang noch von keinem solchen Fall gehört.«
Clarissa platzte fast vor Stolz, so sehr genoss sie die Bewunderung ihrer Cousine, und musste sich alle Mühe geben, um ihre Würde zu wahren. Mit scheinbarer Ruhe hielt sie die Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet, während die Diener das Essen auftrugen, doch ihr Herz jubilierte. Donna Olimpia war mit ihren dreißig Jahren nur ein Dutzend Jahre älter als sie – doch wie viel reifer, wie viel selbstbewusster, wie viel erwachsener wirkte sie in allem, was sie tat und sagte! Das helle, fein geschnittene Gesicht von schwarzen Ringellocken eingerahmt, die beim Sprechen auf und ab tanzten, war sie, ohne darum an weiblicher Schönheit einzubüßen, von jenem stolzen, majestätischen Wuchs, der Clarissa an den Italienerinnen so sehr imponierte und der den Männern das Befehlen wie das Gehorchen gleich unmöglich zu machen schien.
»Alle jungen Gentlemen bei uns in England«, sagte Clarissa, »machen eine Reise auf den Kontinent – warum nicht auch wir Frauen? Wir wollen doch genauso wissen, was in der Welt geschieht! Außerdem, seit ich zurückdenken kann, hat meine Mutter von Italien geschwärmt, von der Landschaft, von den Städten, von den Kunstschätzen. Vor allem von der Sonne, die hier das ganze Jahr scheint. Arme Mama! Sie kann sich einfach nicht an das englische Wetter gewöhnen.«
»Deine Mutter und ich waren die besten Freundinnen«, sagte Olimpia. »Was habe ich deinen Vater gehasst, als er sie nach England entführte!«
»Ich glaube, Mama hasst ihn dafür manchmal heute noch.« Clarissa lachte. »Zumindest im Winter. Auf jeden Fall hat sie ihn überredet, dass ich diese Reise machen darf. Und als William, der ja schon zweimal in Italien war, sich bereit fand, mich zu begleiten …«
»Der größte Fehler meines Lebens«, stöhnte ihr Tutor und verdrehte die Augen.
»… da hat mein Vater schließlich eingewilligt. Aber was ist das für ein nützliches Werkzeug«, unterbrach Clarissa sich, während sie Olimpias Beispiel folgend mit der kleinen Silbergabel, dieneben ihrem Gedeck lag, das Fleisch auf ihrem Teller aufspießte, um es mit dem Messer zu zerteilen. »In England haben wir keine solchen Tischgeräte, da müssen wir die Hände zu Hilfe nehmen wie die Barbaren, und nicht jeder hat saubere Finger. Ich werde unbedingt ein paar Dutzend davon kaufen, wenn wir heimfahren.«
»Das brauchst du nicht, ich schenke dir welche zur Hochzeit«, sagte Olimpia. »Deine Mutter hat mir geschrieben, dass du bald heiraten wirst. Wann wird es so weit sein?«
Olimpia schaute sie mit prüfenden Augen an. Clarissa wurde plötzlich ernst.
»Die Hochzeit? Nun, sobald ich wieder zu Hause bin.«
»Dann wirst du es wohl gar nicht abwarten können, zurückzureisen?«
»Ja, sicher, Donna Olimpia.«
»Ich habe dir schon dreimal gesagt, du sollst mich weder Donna nennen noch Sie zu mir sagen! Aber weshalb wirst du so ernst, wenn ich nach deiner Hochzeit frage? Du siehst ja fast aus, als würdest du dich gar nicht freuen?«
Wieder dieser strenge, prüfende Blick. Clarissa fühlte sich überhaupt nicht mehr wohl. Sollte sie ihrer Cousine die Wahrheit sagen? Alles in ihr drängte danach. Aber sollte sie es auch tun? Olimpia würde sie sicher tadeln. Sie kannten einander ja kaum, sie sahen sich an diesem Abend zum ersten Mal. Clarissa entschied sich darum für die halbe Wahrheit.
»Es ist nur so«, sagte sie und zwang sich zu einem Lächeln, »ich würde gern viel länger hier bleiben. Es heißt, man brauche Jahre, um alles zu besichtigen, was es in Rom zu besichtigen gibt, die Ruinen, die Kirchen, die Bildergalerien, und ich möchte alles sehen – alles! Wer weiß, wann ich je wieder Gelegenheit habe, hierher zu kommen?«
»Und wo gedenken Sie zu wohnen?«
Es war das erste Mal, dass Principe Pamphilio Pamphili, Olimpias Gatte, sich in das Gespräch einmischte. Bei Clarissas Ankunft hatte er, ein ebenso hübscher wie eitler Mann, sie kaumeines Blickes gewürdigt, und seit sie am Tisch saßen, schlang er stumm sein Essen in sich hinein und ließ nur ab und zu eine unzufriedene Bemerkung fallen, mit einer so säuerlichen Miene, als empfinde er es als Zumutung, mit ihr und William die
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