Die Principessa
Johannes-Evangeliums vergessen, du gottloser Mensch? ›Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren!‹«
»Gewiss, Eccellenza, aber es steht auch geschrieben: ›Der gute Hirt lässt sein Leben für die Schafe.‹ Wohlgemerkt, der Hirt für die Schafe – nicht umgekehrt.«
Während er sprach, spielte ein lüsternes Lächeln um seine wulstigen Lippen, und seine Augen glänzten vor Gier. Wie nicht anders zu erwarten, begann er zu feilschen wie ein Händler im Tempel von Jerusalem. Unter Berufung auf das Alte und das Neue Testament versuchte er den Preis in die Höhe zu treiben; ja, er besaß sogar die Unverschämtheit, die Bezahlung im Voraus zu verlangen. Doch Olimpia hatte keine Wahl. Sie brauchte diese Kreatur.
»Also gut«, sagte sie schließlich, »du sollst bekommen, was du verlangst.«
»›Lege jedem sein Geld oben in seinen Sack.‹« Don Angelo nickte und kratzte sich zufrieden an der Brust. »Ich glaube, erstes Buch Moses. Oder war es Ezechiel?«
»Wen kümmert das? Hör lieber zu!« Bevor sie weitersprach, schaute Olimpia sich um. Dann beugte sie sich widerstrebend zu ihm und sagte: »Folgendes sollst du für mich in der Stadt erledigen …«
11
In diesem Sommer, man schrieb das Jahr 1656, hatte Papst Alexander einen Traum: Ein schwarz vermummter Engel erhob sich über den Zinnen der Engelsburg und zog ein flammendes Schwert aus seiner Scheide, um es gegen die Stadt Rom zu richten. Entsetzt schrak Alexander aus dem Schlaf. War dies nicht die Vision, die einst Papst Gregor zur Zeit der großen Pest erschienen war? Wollte sein Vorgänger ihn warnen? Noch am selben Tag gab der Heilige Vater Anweisung, sämtliche Stadttore zu schließen. Niemand, der kein
bolletino di sanità
vorweisen konnte, kam nunmehr hinein, und wer dennoch bei dem Versuch ergriffen wurde, ohne ein solches Gesundheitszeugnis in die Stadt einzudringen, wurde für vierzig Tage Quarantäne ins Pesthaus gesperrt.
War es klug, sich im Zeichen solcher Gefahr unter dutzende fremder Menschen zu begeben? Lorenzo, dem der Papst höchstselbst von seinem Traumgesicht berichtet hatte, hegte einige Zweifel, ob er auch diesmal der Einladung der Principessa folgen sollte, die wie jeden ersten Freitag im Monat ihr
Paradiso
veranstalten wollte. Andererseits, ihre letzte Zusammenkunft hatte sich so viel versprechend gestaltet … Seine Versöhnung mit Borromini war nicht – wie Lorenzo befürchtet hatte – der einzige Zweck des Gastmahls gewesen; bei Tisch hatte man sogar die von ihm aufgeworfene Frage erörtert, welches das bessere Los eines Menschen sei: ein großes Glück zu verdienen oder ein solches zu besitzen? Die Principessa hatte das Resultat ihrerÜberlegungen auf die reizendste Weise zusammengefasst und ihn dabei so eindringlich angeschaut, dass es ihm noch bei der Erinnerung warm von diesem Blick wurde: Sicher sei es gut, so ihre Worte, ein großes Glück zu besitzen, und ebenso gut sei es auch, ein großes Glück zu verdienen, doch viel besser sei es, sich solches Glück wieder und wieder aufs Neue zu erwerben, um es auf Dauer sein Eigen zu nennen.
Wollte sie ihm Hoffnungen machen? Aufschluss versprach die für heute angekündigte Disputation, deren Thema die Principessa selber vorgeschlagen hatte: Sind Liebe und Hass die einzigen echten Leidenschaften? Lorenzo hatte dazu eine sehr entschiedene Meinung. Um die Frage zu beantworten, brauchte er nur an zwei Menschen denken: die Fragestellerin selbst und Francesco Borromini.
Mit einem Taschentuch vor dem Mund machte er sich also auf den Weg, und wenn er auch diesmal die Kutsche nahm, dann nicht, um mit seiner Karosse zu prunken, sondern um sich vor den bösen Ausdünstungen der Straße zu schützen.
Mit freudigem Schwanzwedeln begrüßten ihn die zwei Windspiele bei seiner Ankunft, doch galt ihre Erregung weniger seiner Person als seinem Gastgeschenk.
»Wenn Sie mich annähernd so schätzen würden, Principessa, wie Ihre Hunde diese Früchte – ich wäre der glücklichste Mensch der Welt.«
»Ich liebe Ihre Früchte nicht minder«, sagte sie und nahm eine Weintraube von seinem Korb. »Mit Ihrer täglichen Aufmerksamkeit machen Sie mir eine große Freude.«
»Dann will ich nicht weiter vorlaut sein und unserer heutigen Frage vorgreifen.«
»Ganz recht, Cavaliere«, erwiderte sie mit einem Lächeln, das mit der Blässe ihres Gesichts zu einem Bild bezaubernder Wehmut verschmolz. »Hören wir zur Einstimmung lieber, was die Dichter zu unserem Thema sagen!«
Die Gespräche
Weitere Kostenlose Bücher