Die Principessa
verstummten, und während Lorenzo mit den anderen Gästen Platz nahm, trat der Lautenspieler vor. Gekleidetin ein enges Trikot, warf er den Kopf in den Nacken, dann griff er in die Saiten und improvisierte ein Sonett. Mit weicher, anschwellender Stimme besang er die Liebe zu einer Frau, seine Gefühle mit einer Artischocke vergleichend: Die spitzen Blätter seien die Leiden des Herzens, ihr zartes Grün die Hoffnung auf Erhörung, ihr bittersüßer Geschmack die Regungen von Freude und Schmerz. Lorenzo musste grinsen. Was für ein alberner Vergleich: die Liebe eine Artischocke? Warum kein Apfel oder eine Pflaume?
In der Erwartung, lauter amüsierte Gesichter zu sehen, schaute Lorenzo sich um, doch zu seiner Verblüffung starrte alles wie gebannt auf den Lautenspieler. Und die Principessa? Ihr Anblick versetzte ihm einen Stich: Mit schmerzerfülltem Gesicht, als würde sie selbst die Qualen des Sängers erleiden, lauschte sie dessen Worten. War das zu fassen? Lorenzo war ihr so nah, dass er nur die Hand auszustrecken brauchte, um sie zu berühren, doch nicht seine Nähe ergriff ihr Herz, sondern das Gesäusel dieses albernen Menschen. Ein Komödiant, ein elender Hanswurst wühlte ihre Seele auf, während er, Lorenzo Bernini, der erste Künstler Roms, auf einen Seufzer von ihr wartete!
Der letzte Ton verklang und der Sänger verneigte sich, um den Beifall zu ernten. Mit langsamen, schleppenden Bewegungen, als bereite es ihr Mühe, sich aus ihrer Ergriffenheit zu lösen, erhob sich die Principessa.
»Ich danke Ihnen, Maestro. Sie haben herrlich gesungen.«
Das war mehr, als Lorenzo ertragen konnte. »Mit Freuden sehe ich, Principessa«, sagte er, »wie sehr Sie die Kunst lieben. Umso mehr wundert mich allerdings, dass Sie während des ganzen letzten Monats kein einziges Mal den Weg in mein Atelier gefunden haben. Haben Sie meine Einladungen nicht bekommen? Ich habe Ihnen vier- oder fünfmal geschrieben.«
»Doch, doch Cavaliere. Allein, ich fühlte mich nicht recht wohl und bedurfte stärker der Ruhe als sonst.«
»Vielleicht das Resultat übermäßigen Musikgenusses? Nein, Principessa, diese Ausrede lasse ich nicht gelten. Königin Kristina istgleich Ihnen eine viel beschäftigte Frau, und trotzdem hat sie es sich nicht nehmen lassen, mir ihre Aufwartung zu machen.«
Ein bewunderndes Raunen ging durch den Saal: »Kristina von Schweden? – Die Königin? – In eigener Person?«
Mit Befriedigung stellte Lorenzo fest, dass niemand mehr den Lautenspieler beachtete.
»Ja, Kristina, die Königin von Schweden, mit ihrem ganzen Gefolge«, sagte er. »Ich war gerade bei der Arbeit, am Entwurf für den Petersplatz. Papst Alexander ruft mich ja jeden Abend an seinen Tisch, damit ich Seiner Heiligkeit berichte. Da klopft es am Tor meines bescheidenen Palazzos. Meine Frau drängt mich, die Kleider zu wechseln, doch ich weigere mich und behalte meinen Kittel an, und als Kristina mein Atelier betritt, sage ich nur: ›Verzeiht meinen Anzug, Majestät, aber ich weiß mir keinen besseren, um eine Königin zu empfangen, die einen Künstler zu sehen wünscht. Ist er doch das einfache und schlichte Gewand, in welchem er sein Werk vollbringt.‹«
Alle drängten sich um Lorenzo und bestürmten ihn mit Fragen: »Ist die Königin wirklich so wunderlich, wie man sagt? Ihre Stimme soll ja klingen wie die von einem Kerl!« – »Es heißt, sie sei gar keine Frau, sondern ein Mann, der Frauenkleider trägt. Ist das wahr?«
»Lauter böse Verleumdungen«, erklärte Bernini. »Sicher, Kristina hat eine kräftige Stimme und manchmal streckt sie im Sitzen die Beine in einer Weise von sich, die auf den ersten Blick befremdlich wirken mag. Doch wenn man Ihre Majestät aus der Nähe kennt wie ich …«
Das Winseln der Hunde unterbrach ihn. Verärgert drehte Lorenzo sich um. Was mussten die Köter gerade jetzt Laut geben, da alle Augen auf ihn gerichtet waren? Plötzlich zuckte er zusammen. »Principessa! Um Himmels willen!«
Mit einer Hand auf ein Tischchen gestützt, die andere an der Stirn, schien Clarissa sich kaum mehr auf den Beinen halten zu können.
»Möchten Sie ein Glas Wasser? Soll ich jemanden rufen?«
Ein Aufschrei ging durch den Saal – im selben Augenblick sank sie zu Boden. Lorenzo stürzte zu ihr und beugte sich über sie. Schweiß perlte auf ihrer Stirn, und ihre blasse Haut war übersät von rötlichen Flecken.
»Mein Gott …«, flüsterte er, plötzlich begreifend.
Panik stieg in ihm auf. Eilig holte er sein
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