Die Principessa
Kratzen zu hören. Er öffnete eine Tür zu seiner Linken, und im nächsten Moment sprangen zwei Hunde an ihm empor und beschnupperten ihn.
»Principessa?«
Ihr Anblick zerriss ihm das Herz. Sie lag auf einem Divan, ihr aufgelöstes, schweißnasses Haar klebte an ihren Schläfen, das blasse, eingefallene Gesicht war von dunklen Flecken übersät. Als sie ihn erkannte, glomm ein schwaches Lächeln in ihren Augen.
»Sind Sie … doch gekommen«, hauchte sie. »Nach all den Jahren. Ich hatte es … so sehr gehofft.«
»Warum sind Sie allein? Wo sind Ihre Diener?«
»Halt!« Sie schien kaum die Kraft zu haben, die Hand zu heben. »Bleiben Sie … wo Sie sind … Ich … ich habe die Pest … Sie stecken sich an.«
»Es wäre nur die gerechte Strafe!« Er stürzte zu ihr, kniete an ihrem Lager nieder und griff nach ihrer Hand. »Verzeihen Sie, dass ich nicht früher gekommen bin, bitte verzeihen Sie mir! Bitte!« Und während er sie wieder und wieder um Vergebung bat, beugte er sich über ihre Hand, damit sie seine Tränen nicht sah.
Von dieser Stunde an übernahm Francesco die Pflege der Principessa, ohne Rücksicht auf die Gefahr, in die er sich dadurch brachte. Als Erstes stellte er neue Dienstboten ein, um die alten zu ersetzen, die sich aus dem Staub gemacht hatten, kaum dass die Sbirren vor dem Eingang des Palazzos aufgezogen waren. Er versprach den neuen Bediensteten alles Geld der Welt, so schamlos ihre Forderungen auch sein mochten, mit denen sie die Notlage auszunutzen suchten, um sicherzustellen, dass Tag und Nacht jemand am Lager der Kranken wachte. Dann suchte er die berühmtesten Ärzte der Stadt auf und drohte sie eigenhändig herbeizuprügeln, wenn sie sich aus Angst um ihr Wohl sträubten.
Doch wie wenig richteten sie aus! Angetan mit langen, bis zum Boden reichenden Mänteln aus wachsgetränktem Tuch, trugen sie, um sich gegen den Pesthauch zu schützen, riesige mit Essigtüchern gefüllte Schnabelmasken vor dem Gesicht und stolzierten in dieser Tracht, übergroßen Störchen gleich, durch das Krankenzimmer, um mit Hilfe einer langen Rute anzudeuten, was man tun und gebrauchen sollte, ohne sich der Patientin zu nähern oder sie gar zu berühren. Die einen rieten, viel Wasser zu trinken, die anderen verordneten strenge Diät, um das böse Blut vom guten zu scheiden, und waren sie gegangen, zeugte nur Francescos leerer Beutel von ihrem Besuch.
Und Clarissa? Sie war zu schwach, um zu reden – Francesco konnte nur ahnen, was sie durchmachte. Am meisten schien sie unter den Schmerzen zu leiden: in den Gliedmaßen, in den Gedärmen. Obwohl sie kaum etwas zu sich nahm, musste sie alle paar Stunden erbrechen. Doch wie tapfer sie war! Wann immer ihre Blicke sich begegneten, versuchte sie Francesco mit einem Lächeln zu trösten. Was hätte er darum gegeben, ihr Leid auf sich nehmen zu können. Doch nur das starke Fieber, das am zweiten Tag von ihr Besitz ergriff, schien ihr ein wenig Linderung zu verschaffen. Unter leisem Stöhnen warf sie sich auf ihrem Lager hin und her, in einem ungewissen Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlafen, murmelte manchmal wirre, unverständliche Worte oder richtete sich plötzlich im Bett auf, den leeren Blick auf Francesco gerichtet, doch offenbar unfähig, ihn zu erkennen.
Zweifel überkamen Francesco, Zweifel an allem, woran er glaubte. Wie konnte Gott dulden, dass diese Frau solche Qualen litt? Was hatte sie getan? Die Ohnmacht, mit der er das Siechtum der Principessa ansehen musste, erfüllte seine Seele mit solcher Verzweiflung, dass die Gebete auf seinen Lippen verdorrten wie Blumen auf vergiftetem Grund.
Da die Ärzte nichts vermochten, besorgte er sich alle medizinische Literatur, derer er in den Buchläden rund um die Piazza Navona habhaft werden konnte. Mit zitternden Händen schlug erdie schweren Folianten auf. Gab es noch Hoffnung? Vielleicht wussten die Bücher mehr als die Ärzte.
Bis tief in die Nacht versenkte er sich in die Lektüre, die er nur unterbrach, um Clarissa den Schweiß von der Stirn zu tupfen oder ihr eine Kompresse zu machen. Girolamo Fracastoro unterschied die Pest von anderen hitzigen Zuständen wie Fleckfieber und Vergiftungen, machte so genannte
saminaria morbis
für die Übertragung der Krankheit verantwortlich und wies auf die Gefahren hin, die von den Nachlassenschaften der Pestkranken drohten. Geronimo Mercuriale warnte vor miasmatischen Dämpfen, die den Kleidern entströmten, und riet den vornehmen Damen, die zum Schutz gegen
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