Die Principessa
Zeit das Geheimnis des Glaubens. Gott liebte ihn, er war der Erwählte des Herrn. Durch ihn verkündete er der Menschheit die Erlösung. Ihre Befreiung von allen Fesseln, die den Geist auf Erden bannten …
Was für ein Triumph! Er, Francesco Borromini, hatte diesen Platzgeschaffen – kein anderer als er war im Stande, diese unermessliche Größe, diesen grenzenlosen Raum zu gestalten, das riesige Rund mit Bedeutung zu füllen. Er war der erste Künstler Roms! Die Glocken des Doms schlugen an, als wollte der Himmel selbst ihn feiern, doch während sie ihren Lobpreis erneuerten, schmeckte Francesco das Salz seiner Tränen auf den Lippen.
Ja, das hier war sein Werk, die Vollendung der Kunst, die gewaltigste Hieroglyphe des Glaubens, die je erschaffen worden war – doch die Welt würde es niemals erfahren. In ihren Augen war die Piazza das Werk eines anderen, das Werk seines Rivalen. Lorenzo Bernini, der eitle, selbstverliebte Pfau, hatte es für ewig in Stein gesetzt und sonnte sich nun im Glanz des Ruhms, dieser verfluchte Liebling der Götter, dem alle Leichtigkeit, alle Schönheit von Anbeginn geschenkt waren, mühelos, als wären das Leben und die Kunst nur ein Spiel.
Francesco reckte die Hände zum Himmel. Wie konnte so etwas geschehen? Wer hatte ihn verraten?
Plötzlich spürte er einen Stich in der Brust, schmerzend zog sich seine Lunge zusammen. Welchen Frevel hatte er begangen, dass Gott ihn so hasste?
Mühsam und schwer, als hätte er Blei auf den Schultern, erhob er sich von den Knien, und in sein Taschentuch hustend, wandte er sich ab, um die Piazza zu verlassen.
27
Das kleine Haus im Vicolo dell’ Agnello war in friedliche Nacht gehüllt. Der Mond schien über dem windschiefen Dach, alles war in Schlaf und Traum versunken. Doch plötzlich zerriss ein wütendes Brüllen die Stille. Ein Brüllen wie von einem Tier.
»Bring mir Licht!«
Noch bevor Bernardo die Augen aufschlug, war er hellwach. Jetztwar es wieder so weit! Mit einem Satz sprang er von seinem Lager hoch, auf dem er in Erwartung eines neuen Anfalls seines Onkels in den Kleidern geschlafen hatte, und trat an die rissige Holztür, die seine Kammer von Borrominis Schlafraum trennte.
»Nein, Signor!«, sagte er durch die geschlossene Tür. »Der Arzt hat gesagt, Sie brauchen Ruhe.«
»Du sollst mir Licht bringen, du Hund!«
»Bitte, Signor, ich darf nicht. Der Arzt …«
»Verflucht sei der Quacksalber! Wie soll ich schreiben ohne Licht?«
»Sie können am Morgen weiterschreiben. Wenn Sie wollen, kann ich …«
»Widersprich nicht – gehorche! Bring mir das verdammte Licht!«
Bernardo hielt sich die Ohren zu. Wenn sein Onkel einen dieser Zustände bekam, war er kaum wieder zu erkennen. Doch so schlimm wie heute war es noch nie gewesen. Seit er von einem langen Spaziergang zurückgekehrt war, zu dem er vor Anbruch des vergangenen Tages das Haus verlassen hatte, schrie und tobte er nun schon, am ganzen Körper zuckend, das Gesicht eine Fratze, um plötzlich, von einer Sekunde zur anderen, in einen totenähnlichen Schlaf zu fallen, aus dem er nur umso wütender erwachte, manchmal schon nach wenigen Minuten. Niemanden hatte er sprechen oder sehen wollen – nicht einmal die Principessa hatte er ins Haus gelassen, obwohl sie ein Dutzend Mal gekommen war, um ihn zu besuchen.
»Ich werfe dich raus, ich bringe dich um!«
»Versuchen Sie zu schlafen, Signor! Bitte! Das ist die beste Medizin.«
»Schlafen? Das hättest du wohl gerne! Verräter!« Plötzlich wurde Borrominis Stimme leiser – misstrauisch, forschend, verschlagen. »Wie viel hat er dir gezahlt, damit du mich quälst? Sag schon! War er hier und hat dir Geld gegeben?«
»Wen meinen Sie, Signor? Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen.«
»Lügner!«, donnerte es zurück. »Bestochen hat er dich! Ein Judas bist du. Ich weiß es genau. Aber das sollst du büßen!«
Auf der anderen Seite der Tür polterte ein Gegenstand zu Boden, ein Stuhl oder Kasten. Offenbar versuchte sein Onkel, im Dunkeln aufzustehen. Bernardo schloss die Augen. Warum hatte er sich nur bereit erklärt, in das Haus dieses Mannes zu ziehen, um ihn zu pflegen? Wie sehnte er sich nach seiner Kammer im
borgo vecchio
zurück!
Bernardo stemmte sich gegen die verriegelte Tür, um einen Angriff abzuwehren, doch mitten im Satz verstummte Borromini. Er fing an zu husten, würgte und bellte, so laut und fürchterlich, dass Bernardo entsetzt das Kreuzzeichen schlug. Er hatte diese Anfälle schon so oft erlebt, und
Weitere Kostenlose Bücher